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27.04.2009
Ich möchte hier nun ein paar Gedanken zu den aktuellen Geschehnissen in Sachen TSG-Reform zusammenfassen - sie drehen sich um das, was sich Menschenwürde nennt. Etwas, das transsexuellen Menschen bis heute abgesprochen wird und sie sich auch gerne mal selbst absprechen...

mut23 setzt sich seit mehreren Jahren dafür ein, anzuerkennen, dass es auch Mädchen gibt, die mit Penis und Hoden geboren werden und Jungs, die mit Vagina und Gebärmutter auf die Welt kommen. Einige mögen meinen, dass dies nicht zu beweisen wäre, was dann dankend von mir damit beantwortet wird, dass der Beweis, dass es solche Menschen nicht gibt, noch viel schwerer zu führen ist, als andersherum, schliesslich gibt es zahlreiche Hinweise aus den Wissenschaften, dass dich die verschiedenen Geschlechtsmerkmale eines Menschen bereits vor der Geburt nicht immer auf einer Linie befinden müssen und das biologische Geschlecht eines Menschen weit komplexer ist, als das Vorhandensein oder Fehlen eines Penis. Dies wurde hier ja schon zu genügend ausgeführt und es mag sein, dass nicht jeder bereit ist, biologische Realitäten zu erkennen. Mein Tipp: Dann lass es. Es ist nämlich überhaupt nicht nötig dafür, wenigstens zu bemerken, dass die Verletzung der Geschlechtsidentität eines Menschen Transphobie bedeutet. Wenn es Gesetze gibt, die dies tun, sind es transphobe Gesetze, wenn es Menschen gibt, die dies tun, sind es transphobe Menschen.

Vollig unabhängig davon, wie man denn nun Transsexualität definieren möchte hat ein transsexueller Mensch eine Geschlechtsidentität. Diese Geschlechtsidentität ist Ausdruck des Selbst des transsexuellen Menschen und ist unabhängig der Vorstellung Dritter. Kein Richter, kein Psychologe, kein Familienmitglied, eben kein Dritter kann von Aussen über diese Geschlechtsidentität entscheiden. Wenn es also Regeln und Gesetze gibt, die so gestrickt sind, dass hier Dritte zu den Entscheidern über Geschlechtsidentität werden, sind diese Regeln und Gesetze Verstösse gegen die Menschenwürde. Ursprünglich, noch vor dem Entstehen des ersten Transsexuellengesetzes im Jahr 1980 wusste das auch einst das Bundesverfassungsgericht, welches ausdrücklich auf die Würde des Menschen verwies, und zwar in dem Beschluss des 1. Senates vom 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -:

"Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewußt wird. Hierzu gehört, daß der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der im Menschen angelegten Fähigkeiten und Kräfte."


Diese Kernaussage, die sich um den Begriff der Menschenwürde dreht, wurde weder im 1980 geschaffenen "Transsexuellengesetz" umgesetzt, noch fand die Menschenwürde Berücksichtigung bei dem Reformentwurf des Bundesinnenministeriums vom April 2009, da hier immer noch so getan wird, als bräuchte es einen Entscheider, der bestimmen darf, welche Geschlechtsrolle ein transsexueller Mensch juristisch haben darf - nämlich in Form eines Richters, der eine Entscheidung fällt. Interessant ist, dass ein Richter somit dann zwar, wenn es nach den Vorstellungen des BMI und einiger Berufstranssexueller geht, weiterhin eine Entscheidung über das juristische Geschlecht eines transsexuellen Menschen fallen würde, über die geschlechtliche Identität eines transsexuellen Menschen entscheiden könnte er aber nie (genauso wie dies kein Mediziner oder Psychologe kann). Somit lässt sich ziemlich genau sagen, was das Kernproblem der Ideen um ein reformiertes Transsexuellengesetz ist: Es ist die Frage, inwieweit hier Regelungen erdacht werden, die im Einklang mit Art. 1 Abs. 1 GG stehen. Tun sie es nicht, dann braucht kein Mensch dieser Welt sich weiter mit den einzelnen Ausführungen solch einer Regelung beschäftigen, denn schliesslich ist die Grundlage solch einer Regelung bereits falsch.

Um so mehr wundert es, dass es transsexuelle Menschen gibt, die sich quasi selbstversklaven, in dem sie nicht grundsätzlich die Kernverletzung ihrer Geschlechtsidentität in Frage stellen, sondern meinen Kompromisse eingehen zu müssen, z.B. wenn es darum geht Stellungnahmen dazu abzugeben, wie man denn das aktuelle Transsexuellengesetz ver(schlimm)bessern könnte. Ob sie denn nun Maria Sabine Augstein heissen, Deborah Reinert/Campbell, welche in ihren Stellungnahmen zum BMI-Entwurf zum Transsexuellengesetz nicht ausdrücklich gegen eine geschlechtliche Fremdbestimmung ausgesprochen haben (wer sucht, wird ihre Stellungnahmen auch im Internet finden können, in denen eine geschlechtliche Fremdbestimmung durch deutsche Gerichte und Ärzte immer noch als gegeben hingenommen wird - z.B. hier: http://www.main-ts.de/?TS-POLITIK ), oder ob sie zu den vielen anderen gehören, die sich hier freiwillig in ihren Rechten beschneiden... ich finde es wäre Zeit, hier einmal nachzudenken, ob dabei tatsächlich gute Gesetze herauskommen können, wenn man seine Menschenwürde als transsexueller Mensch allzu bereitwillig aufopfert, auch wenn ich die gutgemeinte Absicht niemandem dieser Menschen absprechen will.

Vielleicht liegt es daran, dass wir hier in Deutschland ein Problem im Verständnis zu haben scheinen, was denn "Menschenwürde" überhaupt ist? Ohne die Frage beantworten zu können, so denke ich, ist Menschenwürde das, wenn wir sie auch im Zusammenhang mit Transsexualität ernst nehmen würden, wichtig für Gleichberechtigung und Akzeptanz. Dass es auch für alle Nicht-Betroffenen zur Pflicht gehören würde, einen Menschen, der sich selbstversklaven will, auf Grund des Selbstverständnisses der Menschenwürde daran zu hindern, zeigt ein Text von Peter Schaber, dem Präsidenten der Schweizerisch Philosophischen Gesellschaft:

"Selbstachtung im Sinne der Wahrnehmung des Rechts, ein eigenes Leben führen zu können. Dieser Anspruch auf Selbstachtung wird paradigmatisch z. B. durch die Folter verletzt. Was die Folter zu einem Paradigma der Verletzung menschlicher Würde macht, ist nicht die Tatsache, dass dem jeweiligen Opfer Schmerzen zugefügt werden, sondern dass es erniedrigt wird. Genau darin besteht die Würdeverletzung. Jemanden zu erniedrigen heißt ihn zu entwürdigen. Dabei beinhaltet die Erniedrigung eine Verletzung der Selbstachtung; jemand erniedrigt eine Person, wenn es dem Handelnden darum geht, den Willen des anderen zu brechen, ihn als eigenständiges Wesen zu negieren. Jemand wird erniedrigt, wenn er in seinem Anspruch, ein eigenständiges Wesen zu sein, verletzt wird." ... "Ein Leben in Würde ist ein Leben, in dem mein Anspruch auf Selbstachtung realisiert ist." ... "Doch die Achtung vor der Würde der Person bindet nicht nur die anderen. Es gilt zugleich, dass ich mich selbst nicht entwürdigen soll. Die Würde ist mit dem Anspruch verbunden, nicht erniedrigt zu werden und sich selbst nicht zu erniedrigen." ... "Was mich gegenüber den anderen bindet – die Menschheit in ihrer Person – bindet mich zugleich mir selbst gegenüber. Hier liegen, wie ich glaube, auch die Grenzen der Achtung vor dem authentischen Willen einer anderen Person. Wir sollten einen Willen nicht achten, der die Selbstachtung der zu achtenden Person untergräbt. Und dies selbst dann nicht, wenn dieser Wille authentisch ist. Die freiwillige, 'authentische' Selbstversklavung eines anderen verlangt mit anderen Worten keine Achtung"

"Zur Freiheit gehört es allemal, sich der Freiheit zu entledigen. Freiwillige Selbstversklavung ist nicht unverträglich mit der Idee der Freiheit, sondern mit der Idee der Würde des Menschen. Wer sich selbst versklavt, erniedrigt sich, unabhängig davon, dass er dabei zusätzlich auch noch von anderen erniedrigt wird. Unzulässig ist nicht der damit möglicherweise verbundene Aspekt der Selbstschädigung. Zur Achtung vor der Würde eines Menschen kann es durchaus gehören, einen Willen nicht zu durchkreuzen, dessen Realisierung für die betroffene Person selbst voraussehbar schlecht ist. Die Achtung vor dem authentischen Willen schließt dies ein: Der Künstler, der seine Gesundheit ruiniert, um sein Werk zu vollenden, ist nach allgemeiner Ansicht zu achten. Die Achtung vor der Würde hat ihre Grenze an der Selbstschädigung nur insofern, als diese die Würde des Menschen verletzt und jemand sich in einer erniedrigenden Weise selbst schädigt. Das ist der Grund, warum freiwillige Selbstversklavung nicht geachtet werden sollte, und dies gilt gleichermaßen für alle anderen Formen der Selbsterniedrigung." ... "Was allerdings wenn die Person selbst die mit ihrer inhärenten Würde verbundenen Ansprüche aufgeben will? Dies geschieht, wenn sich jemand z. B. freiwillig versklaven will. Tatsächlich gibt eine ganze Reihe begründeter Ansprüche bzw. Rechte, auf die wir von uns aus verzichten können. So kann ich, etwa im Fall der Eigentumsrechte meine Verfügungsgewalt über mein Geld und mein Haus anderen übertragen. Und einige glauben, dass man in bestimmten Situationen auch das Recht auf Leben aufgeben kann. Mit den Ansprüchen, die mit Würde verbunden sind, verhält es sich meiner Ansicht nach jedoch anders. 'Die Würde des Menschen ist unantastbar' nicht bloß in der anderen, sondern auch in der eigenen Person. Wer mich freiwillig darum bittet, ihn zu erniedrigen, liefert mir keinen Grund, ihn erniedrigen zu dürfen. Die Würde ist unantastbar, auch wenn jemand ihre 'Antastung' erbittet. Die Würde des anderen ist für mich absolute Pflicht. Und damit meine ich: Ihre Achtung ist an keine Bedingungen geknüpft (anders als beispielsweise die Achtung der Eigentumsrechte, die an das Wollen der anderen Personen geknüpft sind). Was mich verpflichtet, andere nicht zu erniedrigen, ist nicht ihr Wunsch oder ihr Interesse, sondern nichts anderes als ihre Würde."

"Die Achtung des authentischen Willens ist Teil der Achtung der Würde der Person. Den authentischen Willen nicht zu achten, wäre mit dem Anspruch unverträglich, ein eigenes Leben führen zu können. Der aber ist Teil des Anspruchs, ein Leben in Würde zu führen. Wer daran gehindert wird, sein eigenes Leben zu führen, wird, sofern die Hindernisse nicht dem Schutz moralischer Rechte Dritter dienen, als eigenständige Person nicht ernst genommen. Das ist entwürdigend."


Aus: "Der Anspruch auf Selbstachtung - Peter Schaber"

Wie nun ein Gesetz oder eine Regelung aussehen würde, würde die Menschenwürde transssexueller Menschen beachtet werden ist also ganz simpel: Es würde beachtet werden, was eben bereits 1978 vom Bundesverfassungsgericht richtig erkannt wurde: Eben "daß der Mensch über sich selbst verfügen und sein Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann". Es wäre Zeit, dass eine Bundesregierung einmal über 30 Jahre nach dieser Erkenntnis dazu in der Lage wäre sich an die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde zu halten, selbst wenn es transsexuelle Menschen gibt, die es mit ihrer eigenen Menschenwürde nicht so genau nehmen (siehe oben). Wer Menschen beim Selbstversklaven hilft, verletzt nämlich letztendlich nur seine eigene Menschenwürde. Und das wollen wir ja nicht wirklich weiter fortsetzen, oder? Also: Wann beginnst auch du die Sklavenketten zu durchtrennen?

Link: Transsexuellen-Gesetzentwurf des BMI 04/2009
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Hier nochmal was anderes... eine Überlegung, ob es einen Unterscheid zwischen weiblicher und männlicher Transphobie gibt. Mal ein Vorschlag:

männlich: "Der Mann ist ein Mann, den werde ich nie als Frau akzeptieren (hat ja ein Penis)"
weiblich: "Ich akzeptiere den Mann (trotz Penis) als Frau, schliesslich fühlt er sich ja wie eine Frau".

Beides ist Transphobie. Warum auch das zweite? Tjaa... "Finster war’s, der Mond schien helle..."
 
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