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31.03.2012
In den letzten Wochen ist ja eine ganze Menge los gewesen, in Deutschland. Ein transsexuelles Mädchen aus Berlin hat eine Mutter, die ihr helfen will - darf aber nicht, weil ein Berliner Gericht meint, dass es besser ist, wenn das Kind zu Herrn Beier, dem Leiter der Sexologischen Abteilung der Charite, kommt***. Beier ist dafür bekannt, dass er sich an das hält, was im DSM, dem Buch der psychischen Störungen steht (einem Buch, an dem viele Sexologen auch aus Deutschland beteiligt sind): Transsexuelle Mädchen sind "Biologische Jungs" mit "gender identity disorder"/"gender dysphorie". Und das klare Therapieziel heisst hier:

Transsexuelle Menschen müssen mit ihrem "biologischen" Geburtsgeschlecht versöhnt werden.

Nun gab es in Berlin am Montag eine Demonstration. Knapp 300 Leute waren da und haben gegen die Fremdbestimmung über das Geschlecht und für das Selbstbestimmungsrecht des Mädchen protestiert. Das ist an sich schon mal toll, aber irritiert bin ich doch ein wenig über die Reaktionen auf die Proteste. Denn da gibt es nun diejenigen, die ebenso der Ansicht sind, dass - wahrscheinlich glauben sie auch nicht, dass es in der Natur geschlechtliche Abweichungen von einer gesellschaftlichen Norm gibt - dass das Mädchen ein "biologischer Junge" ist. Andere hingegen meinen, dass nur der Herr Beier der böse ist, und ansonsten transsexuelle Menschen in Deutschland im Paradies leben, da es ja die guten Sexologen in Hamburg oder Frankfurt gibt.

Dumm nur, dass auch in Hamburg und Frankfurt ein transsexuelles Mädchen als "geborener Junge" gilt, und nicht als geschlechtliche Normabweichung. Das hat Hertha Richter-Appelt ja jüngst selbst wieder zugegeben, als sie mit dem Ethikrat, der neulich über Intersexualität eine Stellungnahme veröffentlicht hat, die transsexuelle Menschen als widernatürlich erklärt und hier von "eindeutig biologisch" spricht, womit dann gemeint ist: Ein transsexuelles Mädchen, sei "biologisch eindeutig Junge". Ein Junge mit "Gender Dysphorie" (siehe auch dazu die Diskussion um den DSM V, der geplanten Neufassung des Buchs der psychischen Störungen). Hier fängt es an gemein zu werden. Denn ein Mädchen ist ein Mädchen, und eben kein Junge.

Dass der Ethikrat hiermit eher die Bezeichnung Unethikrat verdient hätte, da er die alten Lügen über transsexuelle Menschen bekräftigt und somit die Menschenrechtsverbrechen an transsexuellen Menschen, die Sexualwissenschaftler an ihnen begehen, legitimiert, nur am Rande. Kurzer Einwurf: Ihr solltet euch schämen, eine pseudo-biologistische Weltsicht zu stützen, die transsexuelle Menschen weiterhin für widernatürlich erklärt. Früher galt ja Homosexualität als widernatürlich. Und wir sind auf dem besten Weg dazu, dass Ethikräte in Deutschland keine Ethik im Sinn haben und Richter kein Recht sprechen. Dass es so eine Zeit schon ein mal gab, und man aus der Geschichte hätte lernen können... ach, wem sag ich das. Die alten Widernatürlichkeits- und Unzuchttheorien scheinen immer noch durch die Köpfe zu spuken.

Nun, was mich wirklich beschäftigt ist die Frage: Wie sieht es denn ausserhalb von Berlin aus, in Sachen Umpolungstherapien an transsexuellen Menschen?

Das Ziel war ja: Transsexuelle Menschen müssen mit ihrem "biologischen" Geburtsgeschlecht versöhnt werden.

Berühmtestes Beispiel für eine "gelungene" Umpolungstherpaie in Sachen Transsexualität ist in meinen Augen Kim Petras. Als Kind äusserte sie "ich bin ein Mädchen", dank Therapie in Frankfurt sagt sie nun heute, sie sei ein Junge gewesen, der sich schon immer "als Mädchen gefühlt hat". Umpolungstherapie gelungen. Transsexueller Mensch hat sich mit seinem Geburtsgeschlecht versöhnt. Und als dank dafür, darf dieser Mensch, der sich nun mit seinem angeblichen Geburtsgeschlecht versöhnt hat, nun in der Frauenrolle leben. Toll gemacht. Da soll einer sagen, solche Umpolungstherapien hätten keinen Erfolg. Und vorallem soll noch mal einer ankommen und sagen, dass es nur in Berlin so zugeht.

Der Unterschied zwischen Berlin und den anderen Anlaufstellen (die auf ihren Webseiten ja u.a. auch darauf hinweisen, dass sie mit Berlin zusammenarbeiten, aber das nur nebenbei erähnt), ist vielleicht die Art und Weise, wie versucht wird, ein transsexuelles Mädchen dazu zu bringen, sich selbst wieder für einen "biologischen Jungen" zu halten. Klaus Beier ist da möglicherweise ein bisschen ehrlicher, als seine Kollegen, da er offen zugibt, was Kollegen von ihm Betroffenen gegenüber verheimlichen. Er sagt, was im DSM steht und was mit "gender identity disorders" gemeint ist, wohingegen z.B. andere Behandler zwar in Studien oder auf Fachtagungen deutlich sagen, dass sie transsexuelle Mädchen für biologische Jungs mit psychischer Störung halten, dies aber ihren Patienten verheimlichen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie nicht zu dieser Sorte Mediziner gehören.

Beispiel 1: Das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin hat erst letzte Woche eine Tagung abgehalten, an der es "Im Zelt vor dem Audimax" um das "Körperbild von Personen mit Geschlechtsidentitätsstörung" ging. Wer steht als Name darunter? Hertha Richter-Appelt.

Beispiel 2: Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung bietet vom 07. - 09. September 2012 ein Seminar an, bei der es um "Trans-/ Intersexualität und Geschlechtsidentitätsstörungen" geht. Ansprechpartner für diese Tagung ist die immer-mal-wieder-Leiterin der DGfS, Hertha Richter-Appelt.
(da gibt es noch weitere Veranstaltungen, das ist nur ein kleiner Ausschnitt)

Interessant. Jemand der gegenüber transsexuellen Menschen so tut, als stünde er auf ihrer Seite, aber dann doch mit seiner Pseudolehre von "Geschlechtsidentitätsstörungen" durchs Land zieht... irgendwie ziemlich zweigesichtrig, würde ich sagen. Das bringt mich dann auch zu der Aussage, dass es zwar Unterschiede gibt, in der Art und Weise, wie das Therapieziel einen transsexuellen Menschen mit dem angeblichen "Geburtsgeschlecht zu versöhnen erreicht werden soll, das Ziel ist aber dasselbe: Die Aufrechterhaltung eines geschlechtlichen Weltbildes in das transsexuelle Menschen nicht hineinpassen, weswegen Sexologen ihre Selbstaussagen über ihr Geschlecht als psychische Störung definieren um nicht zugeben zu müssen, dass Geschlecht in der Natur weit vielfältiger ist, als das eine hetereosexistisch-biologistische Normierungsmedizin wahrhaben will.

Dagegen dürft ihr ruhig auch protestieren. Auch wenn 300-gegen-Beier wichtig sind, wäre ein allgemeiner Protest gegen die Menschenrechtsverbrechen der Sexologie noch viel, viel wichtiger. Denn transsexuelle Menschen brauchen einen Schutz vor der Fremdbestimmung einer stereotypen-fixierten und machtgeilen Sexologie. Und den gibt es nur, wenn Gesetze sich ändern und anerkannt wird, dass ein Mensch das Recht dazu hat, zu sagen: "Ich bin", ohne dass ein Sexologe das in Frage stellt.

Nachtrag:

Ich habe einen interessanten Text darüber gelesen, welche Gruppen ein grosses Interesse daran hatte, geschlechtliche Normabweichungen als "widernatürlich" zu erachten: Die Nationalsozialisten. War es bis Anfang der 30er Jahre noch so, dass jüdische Forscher wie Hirschfeld oder Goldschmidt, beispielsweise auch Homosexualität (und somit auch Transsexualität) als natürliche geschlechtliche Zwischenstufen erachteten, waren es insbesondere die Nationalsozialisten, die an diesen Theorien kein Interesse hatten. In der NS-Zeit setzte man alles daran, dass es Männer auf der einen Seite und Frauen auf der anderen Seite gibt.

Susanne zur Nieden vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte schreibt in ihrer Arbeit zu "Erbbiologische Forschungen zur Homosexualität an der deutschen Forschungsanstalt dür Psychiatrie während der Jahre des Nationalsozialismus", dass die Nationalsozialisten wenig Interesse daran hatten, biologische Zwischenstufen anzuerkennen, da diese ihre Mann-Frau-Ideologie in Frage stellen würden. Was natürlich ist, hätte man schlichtweg nicht als "widernatürlich" bezeichnen, und schon gar nicht durch Erziehung und Einschüchterung der Bevölkerung als ein heilbares Verhalten bezeichnen können.

Spannend ist auch, welches NSDAP-Mitglied sich stark gegen die Anerkennung geschlechtlicher Zwischenstufen aussprach: Hans Bürger-Prinz, der Begründer der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung.

"Weitaus grundsätzlicher noch stellte der Hamburger Psychiater Hans Bürger-Prinz (1897-1976) 1938 erbbiologische Erklärungen in Frage. Bürger-Prinz stützte sich auf seine Erfahrungen als forensischer Gutachter in einem Sammelverfahren, in dem über 30 Männer aufgrund eines Verstoßes gegen § 175 StGB angeklagt waren. In Abgrenzung zu erbbiologischen Erklärungen von Homosexualität, stellte er die soziale Genese homosexuellen Verhalten und die Gefahr der Verführbarkeit zur Homosexualität in den Mittelpunkt seiner Überlegungen."

Der Leipziger Psychiater Paul Schröter ünterstützte Bürger-Prinz, indem er äusserte, solche Überlegungen geben "letzten Endes nur den unendlich vielen Nahrung für die Behauptung bzw. den Glauben, daß sie eine besondere Klasse, ein besonderes Geschlecht unter den Menschen darstellen, daß sie einmal so sind, und nicht anders können".

Die Nationalsozialisten hatten aber anderes vor: Die Heilung des "Volkskörpers" durch Drill, Erziehung und staatliche Massnahmen. So zitiert Susanne zur Nieden einen Leitartikel der Zeitschrift "Das Schwarze Korps" von 1937 in welchem es heisst, der Masse (Anm. der homosexuellen Menschen) fehle „jede Haltung, jede Äußerung eigenen Willens, jeder Ansatz zur Charakterbildung. Von anderen Menschen abgeschlossen, unter strenger Bewachung, zu systematischer Arbeitsleistung angehalten, trete 'mit erstaunlicher Pünktlichkeit eine Wandlung ein. Der ‚Kranke‘ wird gesund. Der ‚Anormale‘ erweist sich als durchaus normal.'"

Auch heute noch scheinen sich die Thesen der Nationalsozialisten, dass es in der Natur vorkommenden geschlechtlichen Normvarianten nicht gibt, und damit auch transsexuelle Frauen "biologische Männer mit psychischer Störung" bzw transsexuelle Männer "biologische Frauen mit psychischer Störung" sein müssten, immer noch zu halten. Gruselig, wie lange geschichtliche Verklärung anhalten kann.

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***Mail vom 2. April 2012 von Christian Schenk:

"in Deinem blog schreibst Du u.a. "...weil ein Berliner Gericht meint, dass es besser ist, wenn das Kind zu Herrn Beier, dem Leiter der Sexologischen Abteilung der Charite, kommt...."
 
falls Du das urteil des kammergerichts vom 15.3.12 meinst, so ist diese aussage falsch. hier der link zu PE und urteil: 
http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/kg/presse/archiv/20120329.1450.368160.html
 
an dem spruch gibt es einiges zu kritisieren, nicht aber, dass verfügt worden sei, das kind solle zu beier in die charité - darum ging es in der entscheidung nicht."


Stimmt. Es ging darum, wer entscheidet, was mit dem Kind passieren soll (hier: eben auch nicht die Mutter) und um eine "weitere Diagnostik", die dann, laut aktuellem Wissensstand, mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Herrn Beier dem Leiter der Sexologischen Abteilung der Charite, stattfinden wird. Bei den psychischen Schäden, die transsexuellen Menschen alleine bereits durch die "Diagnostik"-Verfahren, die sogenannte Sexualwissenschaftler durchführen, zugefügt wird, frage ich mich, ob es in der Sache wirklich Sinn macht, die drohenden Folgen von Gerichts-Entscheidungen einfach auszuklammern. Ich meine: Nein.

Ach so. Es gibt ja Leute, die sich vielleicht fragen: Warum veröffentlichst Du einen Kommentar von "Christian Schenk"? Wer ist das eigentlich? Stimmt. Könnte gut sein, hier ein wenig Hintergrundinfos anzuführen.

Christian Schenk tritt zusammen mit anderen des sogenannten G-Institutes immer wieder auch auf Tagungen (u.a. sog. trans*-Tagung Berlin) zum Thema auf. Dem sogenannten G-Institut gehören dann z.B. auch Deborah Reinert (eine Rechtsanwältin und Vorstandsangehörige des LSVD Köln) und Annette Güldenring (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie) an. Im Januar 2009 veröffentlichten Annette Güldenring und Deborah Reinert, zusammen mit den Sexologen Wolfgang Senf, Sophinette Becker, Hertha-Richter-Appelt und anderen das Papier "Sexuelle Identitäten" (Thieme Verlag 2009).

Güldenring schreibt in dieser Veröffentlichung, in der es auch um transsexuelle Kinder geht, u.a. ein transsexuelles Mädchen, sei ein "biologischer Junge", der den Wunsch habe, Frau zu werden (Seite 27). Sophinette Becker, Sexologin aus Frankfurt spricht davon, dass Transsexualität nichts natürliches sei, sondern erst durch psychische Prozesse entstünde. So schreibt sie, dass "der transsexuelle Wunsch sich (früher oder später) im Verlauf ganz unterschiedlicher psychischer Entwicklungen organisiert" (Seite 12) und nennt das dann "Geschlechtsdysphorie" und auch Deborah Reinert spricht bei Transsexualität von "Wunschgeschlecht" (Seite 52) und schliesst sich damit Sophinette Becker an.

Christian selbst war Mitglied des Bundestages und ist trans*-politisch aktiv.
 
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