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12.08.2012
In der letzten Zeit werden wieder viele Begriffe durcheinander gebracht oder synonym verwendet, die aber alle andere Bedeutungen haben. Da gibt es Zeitungsartikel, in denen transsexuelle Menschen mit Transvestiten verwechselt werden:

"Die ehrwürdige Universität Oxford hat beschlossen, dass nun endlich auch Frauen beim Examen Hosen tragen dürfen – und Männer Röcke. [...] Die Begründung lautet nämlich, dass geschlechtsspezifische Garderobe unfair sein könnte gegenüber transsexuellen Studenten."
(Die Zeit, Jens Jessen 10.08.2012)

Moment, liebe Zeit: Wenn es z.B. um Männer geht, die Kleidung tragen, die dem "weiblichen Geschlecht" zugeordnet wird, nennt man diese Männer "Transvestiten" bzw. "Crossdresser". Gut. Aber auch die Verwechselung von Transsexualität mit Transidentität ist wieder ziemlich hip gerade.

Was aber ist der Unterschied zwischen "Transidentität" und "Transsexualität"?

"Transsexualität" ist ein Begriff, der auf Magus Hirschfeld zurück geht. 1923 beschrieb er Menschen, die körperliche Merkmale des einen Geschlechtes hatten, aber sagten, sie gehörten dem anderen an. "trans" steht dabei für "entgegen" und "sexualität" für "das Geschlecht" (sexus). Übersetzt bedeutet "Transsexualität" also "Entgegengeschlechtlichkeit". Da 1923 genitale Operationen alles andere als üblich waren (und Hirschfeld in erster Linie Beobachter von Menschen war, die er als Angehörige der "sexuellen Zwischenstufen" beschrieb), leuchtet es ein, dass Hirschfeld wohl annahm, dass es transsexuelle Menschen per se in der Natur gibt, und transsexuelle Menschen sich zu ihrer Entgegengeschlechtlichkeit dann irgendwann äussern. Heute würde man sagen: Ein transsexueller Mensch löst sich von äusseren Zwängen, und erlebt irgendwann sein Coming Out. Beispiel: Eine transsexuelle Frau erkennt, dass sie trotz Penis (genitalien) und männlicher Rolle (gender) eine Frau ist. Da die meisten transsexuellen Frauen diese Selbsterkenntnis auch nach Aussen zeigen wollen, lehnen sie es ab, mit ihrer angeblich "männlichen Rolle" oder mit ihren "männlichen Genitalien" in Verbindung gebracht zu werden.

Wichtig ist nun zu verstehen, dass die die Idee und der Begriff "Transsexualität" davon ausgehen, dass Geschlecht vielfältig ist (im Sinne Hirschfelds "Zwischenstufen"), und es hier allerlei biologische Abweichungen zu der Vorstellung einer Adam-und-Eva-Weltvorstellung gibt. "Transsexualität" meint: Da gibt es Mädchen, die mit Penis und Hoden geboren werden und Jungs, die mit Vagina und Gebärmutter auf die Welt kommen.

"Transidentität" geht von einer völlig anderen Vorstellung aus. Leider wird gerade von denen, die an das Konzept "Transidentität" glauben, immer wieder behauptet "Transidentität" und "Transsexualität" wären das selbe. Dies ist aber wei weitem nicht so. "Transidentität" geht davon aus, dass ein Mensch geboren wird, und später eine "Geschlechtsidentität" entwickeln wird. Diese "Geschlechtsidentitätsentwicklung" nennt die Psychoanalyse beispielsweise "Psychosexuelle Entwicklung". Nun wird gesagt, dass es Menschen gibt, bei denen diese angebliche Entwicklung nicht so abläuft, dass diese zu den geschlechtlichen Normvorstellungen passt. Die Psychologen nennen dann eine von der Norm abweichende "Geschlechtsidentitätsentwicklung" dann in der Regel "Gender Dysphorie" oder klassifizieren das dann als "Geschlechtsidentitätsstörung". Eine "Transidentität" entsteht also - im Gegensatz zu "Transsexualität" - erst. Z.B. durch Einflüssen der Erziehung, aber auch biologische Prädispositionen werden hier gerne angeführt.

Anhänger der "Transidentitäts"-Theorie sind dann häufig Menschen aus der Psychologie oder Menschen, die sich den Weltanschauungen bestimmter Psychologen bzw. Psychoanalytiker unterordnen. So tauchen u.a. in einem Zeitungsartikel des Kölner Stadtanzeiger vom 9.8.2012 ein paar Namen auf, die davon ausgehen, dass "Transidentität" erst entstünde:

Jenseits der Geschlechtergrenze

Sexologen wie Friedemann Pfäfflin aus Ulm, aber auch Unterstützer wie Augstein und Lessenich, die in dem Artikel zitiert werden, waren in Vergangenheit massgeblich dafür mitverantwortlich, dass das Wissen um die Existenz transsexueller Menschen langsam einer "Transidentitäts"-Weltsicht weichen konnte, indem sie "Transsexualität" nicht als besondere Geschlechtlichkeit, sondern als "Gefühl", "Empfinden" oder Entwicklung beschrieben. Möglich sogar, dass dies in ihren eigenen Lebensläufen so gewesen ist. So ist auf der Website von Jean Lessenich folgendes zu lesen:

"Lessenich nimmt wohltuend Abstand von den hartnäckigen transsexuellen Stereotypen, 'immer schon' eine Frau gewesen zu sein oder eine weibliche Seele in einem männlichen Körper zu haben."

Dass die Vorstellung von Geschlechtsumwandlungen per OP-Schere, sowie der Glaube an Geschlechtsrollen viel stereotyper ist, als per se existente geschlechtliche Vielfalt anzuerkennen (wie Magnus Hirschfeld, der diese "sexuelle Zwischenstufen" nannte und geschlechtliche Vielfalt anerkannte), möchte ich nur mal so nebenbei erwähnen. Viel ärgerlicher ist es, dass Menschen wie Pfäfflin, Augstein und Lessenich, die an ein "Transidentitäts"- und "Geschlechtswechselkonzept" glauben, immer noch als tonangebend auf Redakteure in Deutschen Zeitungshäusern wirken können, obwohl ihre Weltvorstellung längst als Irrnisse einer gestrigen Generation bezeichnet werden könnten. Dass Augstein und Pfäfflin dabei ganz vergessen, dass sie ja mitverantwortlich für das Transsexuellengesetz sind, das heute noch auf dieser stereotypen Geschlechtsumwandlungs-Weltanschauung basiert und für regelmässige Diskriminierungen sorgt, verwundert genauso, wie das, wie sie diese Verantwortung heute verstanden haben wollen. So äussert Friedemann Pfäfflin in dem Artikel des Kölner Stadanzeigers dreist:

"Früher mussten Transsexuelle dafür kämpfen, operiert zu werden und den Namen ändern zu dürfen, heute kämpfen sie gegen den Zwang, sich operieren lassen zu müssen"

Dass der Mann immer noch nicht verstanden hat, dass Namensänderung und genitale Operationen zweierlei sind, und lediglich die Verknüpfung von TSG und OP- wie Begutachtungszwang von den Betroffenen kristisiert wird, da diese mittlerweile verstanden haben, dass nicht das TSG oder eine OP sie transsexuell macht, sondern sie tatsächlich existieren, spricht dabei Bände. Es zeigt, dass manche Menschen immer noch nicht anerkennen können, dass Transsexualität nichts mit Identitätsproblematiken zu tun hat, sondern tatsächlich Menschen existieren, die geschlechtlich von einer Norm abweichen. Es mag Pfäfflin kränken, dass transsexuelle Menschen sich von ihm, wie von anderen Psycho-Gutachtern, die Transsexualität nicht als geschlechtliche Normvariante anerkennen wollen, mittlerweile abwenden und seiner Eitelkeit zu verdanken sein, dass er sich dabei sogar noch als Gewinner sieht. Besser wäre aber, wenn die Generation "Geschlechtsumwandlung" langsam abtreten würde, anstatt so zu tun, als hätte sie dafür gesorgt, dass es transsexuellen Menschen heute besser ginge.

In der Realität war es nämlich genau andersherum: Immer wieder mussten transsexuelle Menschen ihre Rechte einklagen, weil das, was Sexualwissenschaftler, die in den 70ern aktiv waren, ausgedacht hatten, in der Realität auf Grund seiner Paradoxidität zwangsläufig schief gehen musste. Ein TSG, das auf der Annahme von "Geschlechtsumwandlungs"-Ideen, sowie der Vorstellung von Männern, die "Frauen werden" und Frauen, die zu "Männern werden", basiert, wird immer Unsinn bleiben müssen, da eine Weltanschauung in der von "Biologisch eindeutigen Geschlechtern" (was ja u.a. auch Hertha Richter Appelt in Hamburg gerne in Bezug auf transsexuelle Menschen äussert) einerseits und angeblich davon abweichenden Empfindungen andererseits (was dann von den Leuten, die an diese Teilung glauben, "Gender Dysphorie" genannt wird) in sich immer das Problem beinhaltet, das am Ende doch wieder interpretiert wird, was als "biologisch" zu gelten hat und damit automatisch immer geschlechtliche Fremdbestimmung dabei herauskommt.

Der Glaube an "Geschlechtsumwandlungen" und so etwas wie eine "psychosexuelle Enwicklung" führt also zu geschlechtlicher Fremdbestimmung. Und dass transsexuelle Menschen keine Lust mehr auf diese Fremdbestimmung haben, liegt nicht an den Verdiensten von Pfäfflin und Augstein, sondern daran, dass viele einzelne transsexuelle Menschen sich in ihrem eigenen Leben immer mutiger gegen Fremdbestimmung zur Wehr setzen. Immer mehr transsexuelle Menschen lässen sich nicht mehr gefallen, wenn sogeannnte "Sexualwissenschaftler" sie als psychisch krank erachten. Das ist nicht etwa ein Verdienst der "Sexualwissenschaft", sondern ein Verdienst des Selbstverständnisses, das transsexuelle Menschen - entgegen der wirren Theorien einer geschlechtsumwandlungsgläubigen Sexualwissenschaft - mittlerweile gewonnen haben. Sie wissen, dass sie existieren.

Klar, dass der sogenannte "Backlash", die Rückkehr zu konservativen Vorstellungen da nicht weit ist, und so etwas wie ein Versuch existieren wird, in der Öffentlichkeit das Bild vom "geschlechtsumgewandelten" Menschen zu propagieren, wenn man selbst Anhänger dieser Theorien ist. Liebe Zeitungsredakteure, macht es nicht Sinn, genau hier kritisch zu sein, und genau hin zu schauen? Manchmal macht Recherche nämlich Sinn. Es ist ja nicht so, dass diese nicht möglich wäre. Da wäre es ja schon mal ein Anfang, sich darüber Gedanken zu machen, was die Begriffe "Transsexualität", "Transidentität" und "Transvestiten" unterscheidet. Und wenn man bereit ist zur Recherche stösst man da eventuell auf etwas.

Ich möchte es mal versuchen, den Unterschied zwischen "Transsexualität" und "Transidentität" noch einmal kurz zusammenzufassen:

"Transvestiten" = Es gibt Menschen, die sich bezogen auf ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung wie das "Gegengeschlecht" kleiden

"Transsexualität" = Es gibt Menschen, bei denen bestimmte körperliche Merkmale vom eigentlichen Geschlecht abweichen

"Transidentität" = Es gibt Menschen, die sich mit dem Gegengeschlecht (bezogen auf ihr biologisches Geschlecht) identifizieren

Das der Begriff "Transgender" wieder etwas anderes bedeutet und auch nicht jeder transsexuelle Mensch zwangsläufig "transgender" (gender = soziales Geschlecht, Rolle) sein muss, lasse ich jetzt einfach mal weg. Denn das ist dann eine andere Geschichte. Schön wäre aber, wenn hier nicht immer Begriffe synonym verwendet würden, die nichts miteinander zu tun haben, und sogar völlig konträre Weltanschauungen beinhalten. Für transsexuelle Menschen ist es in der Regel ziemlich verletzend zu behaupten, sie auf stereotype Kleidungsvorlieben zu reduzieren oder zu behaupten, sie hätten eine "Gender Dysphorie", weil bei ihnen angeblich ihr "Empfinden" vom "biologischen Geschlecht" abweiche. Denn bei transsexuellen Menschen ist genau das gerade nicht der Fall.

Letztlich aber, wäre es einfach nur schön, wenn Zeitungsschreiber anerkennen könnten, was vor gut 100 Jahren bereits Wissen war: Dass transsexuelle Menschen existieren. Die Idee einer "Geschlechtsidentitätsentwicklung"/"psychosexuellen Entwicklung" braucht es dazu gar nicht. Man muss nur in der Lage sein, anzuerkennen, dass das Konzept Adam und Eva nichts mit der geschlechtlichen Natur des Menschen zu tun hat und jeder Mensch sich in vielen Kontinua zwischen männlich und weiblich befindet.

Manche Menschen sind eben transsexuell. Einfach so.
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Anmerkung: Friedemann Pfäfflin ist ein Sexologe und Gutachter, der sich auch in mehreren Fällen gegen die medizinische Behandlung transsexueller Menschen ausgesprochen hat und hält Transsexualität bis heute nicht für eine geschlechtliche Normvariante, sondern für eine psychische Befindlichkeit. Die Menschenrechtsorganisation ATME e.V. fordert, dass Sexologen, die abstreiten, dass transsexuelle Menschen per se existieren nicht weiter aus Bundes- sowie Landesgeldern finanziert werden.
 
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