Heute habe ich eine Antwortmail erhalten, auf eine Anfrage an den Rechtswissenschaftler Michael Grünberger (in Auszügen):
haben Sie vielen Dank für Ihre ausführliche E-Mail. Ich habe mich
auf Ihrer Seite umgesehen, damit ich einen besseren Eindruck Ihres
Wunsches erhalte. ... Wie Ihnen bekannt ist, darf ich keine
Rechtsberatung erteilen. Darüberhinaus sehe ich meine Aufgabe als
Rechtswissenschaftler eher darin, über die rechtlichen Probleme des TSG
nachzudenken und eine Änderung anzumahnen. Wenn ich nicht irre, liegt
Ihr Kampf aber in der fachwissenschaftlichen Definition, an die das
Recht möglicherweise anknüpft. Ich glaube auch den Urteilen des BVerfG,
vor allem der Entscheidung vom 6.12.2005 entnommen zu haben, dass das
Recht von Ihnen gerade nicht verlangt, erst ein Mann sein zu sollen, um
dann eine Frau zu werden.
Transsexuelle Frauen sind Frauen, nur weil das von Dritten
wahrgenommene Erscheinungsbild auf ein männliches Geschlecht hindeutet,
behandelt sie das Recht zunächst als Mann. Vielleicht übersehe ich
vieles, aber ich denke, dass das Recht - und damit die Gutachter - von
Ihnen nicht verlangen ->und auch nicht verlangen dürfen - sich zu
verleugnen.
Meine Antwort (ebenfalls in Auszügen) war nun:
Hallo Herr Grünberger,
danke für die Antwort. Es ging mir, wie sie sich eventuell denken
können, nicht um eine Rechtsberatung, sondern in der Tat um eine
Anregung bezüglich ihrer Tätigkeit als Rechtswissenschaftler, der sich
mit den Problematiken, die sich aus dem TSG ergeben, beschäftigt um
evtl. an einer Änderung der bestehenden Verhältnisse mitzuwirken. Meine
Formulierung des Selbstverleugnungszwangs durch das Gutachterverfahren
erschien ihnen vielleicht als etwas hart dargestellt, doch schreibe ich
dies deswegen, weil durch die Vermischung von Recht und Medizin (bzw.
rechtlichen, körperlichen und psychischem Geschlecht) sich eine Lücke
im System aufmacht, die in-sich unschlüssig und paradox ist.
Ich möchte Ihnen das einmal verdeutlichen:
Störungen der Geschlechtsidentität
1) TSG
"Auf Antrag einer Person, die sich auf Grund ihrer transsexuellen
Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen, sondern dem
anderen** Geschlecht als zugehörig empfindet"... "Das Gericht darf
einem Antrag nach nur stattgeben, nachdem es die Gutachten von zwei
Sachverständigen eingeholt hat..."
**dem anderen RECHTSGeschlecht, als dem im Geburtseintrag angegebenen, welches anhand körperlicher Merkmale bestimmt wurde.
2) Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -
"Es müsse aber heute als gesicherte medizinische Erkenntnis
angesehen werden, daß die Geschlechtlichkeit eines Menschen nicht
allein durch die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane und -merkmale
bestimmt werde, sondern auch durch die Psyche. Die Rechtsordnung dürfe
diese Gegebenheiten nicht unberücksichtigt lassen, weil sie in
gleichem, wenn nicht sogar in STÄRKEREM Maße als die körperlichen
Geschlechtsmerkmale die Fähigkeiten des Menschen zur Einordnung in die
sozialen Funktionen der Geschlechter*** bestimmten und weil Gegenstand
der auf das Geschlecht abstellenden Rechtsnormen eben diese sozialen
Funktionen seien."
Gegen den Willen darf laut BVG 1978 kein Mensch rechtlich als das
Geschlecht behandelt werden, dem dieser psychsich nicht angehört
(Begründung durch Grundgesetz und Menschenrechte). (Wohl meint das BVG
primär die rechtliche Behandlung)
***Rechtsgeschlecht = Personenstand
2) ICD10 - F64.0 Transsexualismus
Der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes**** zu leben und
anerkannt zu werden. Dieser geht meist mit Unbehagen oder dem Gefühl
der Nichtzugehörigkeit zum eigenen anatomischen Geschlecht einher. Es
besteht der Wunsch nach chirurgischer und hormoneller Behandlung, um
den eigenen Körper dem bevorzugten Geschlecht soweit wie möglich
anzugleichen.
****unklare Formulierung: was für ein Geschlecht ist gemeint? Das "andere" bezogen auf das Rechtsgeschlecht?
3) DSM-IV 302.85 (ICD der WHO Kapitel V - F64.0 Transsexualität),
Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jugendlichen oder Erwachsenen
Ein starkes und andauerndes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht*****. Das heißt
- geäußertes Verlangen, dem anderen Geschlecht anzugehören;
- häufiges Auftreten als Angehöriger des anderen Geschlechts;
- der Wunsch, als ein Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben und als solcher behandelt zu werden;
- die Überzeugung, die typischen Gefühle und Reaktionsweisen des anderen Geschlechts aufzuweisen.
Anhaltendes Unbehagen im Geburtsgeschlecht, oder Gefühl der Person,
dass die Geschlechtsrolle des eigenen Geschlechts****** für sie nicht
die richtige ist (z.B. Eingenommensein von Gedanken darüber, die
primären und sekundären Geschlechtsmerkmale loszuwerden, oder der
Glaube, im falschen Geschlecht geboren zu sein).
***** anderes Geschlecht? Rechtsgeschlecht?
****** Geschlechtsrolle?
4) Experten
Um von einer Geschlechtsidentitätsstörung zu sprechen, muss ein starkes
und andauerndes Zugehörigkeitsgefühl zum anderen Geschlecht vorliegen,
d.h. das Verlangen oder auch das Bestehen darauf, dem anderen**
Geschlecht anzugehören
Dr, Christiane Eichenberg
** anderes Geschlecht? Rechtsgeschlecht?
Vor dem Hintergrund der nosologischen Entwicklung der aktuellen
Nomenklatur (ICD-10; DSM-IV) wird die Epidemiologie, Symptomatologie,
Diagnostik und Differenzialdiagnostik der
Geschlechtsidentitätsstörungen dargelegt.
Priv.-Doz. Dr. H. A. G. Bosinski
"Das Gericht darf einem Antrag nach nur stattgeben, nachdem es die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt hat..."
ABER: Gegen den Willen darf laut BVG 1978 kein Mensch rechtlich als das
Geschlecht behandelt werden, dem dieser psychsich nicht angehört
(Begründung durch Grundgesetz und Menschenrechte).
Fragen:
Warum wird während der mehrjährigen Behandlung ein
Transsexueller gegen seinen Willen als das Geschlecht behandelt, dem
dieser psychisch NICHT angehört?
Warum entscheidet über den Personenstand ein Gutachter, ausgehend einer
Diagnose, die das körperliche Geschlecht zur Grundlage hat, obwohl die
Diagnose gerade eben den Körper als geschlechtsbestimmenden Faktor in
Frage stellt (wie geht das)?
Ist es nicht paradox A als widerlegt anzusehen und trotzdem A zur
Grundlage des Verfahrens zu machen (frei nach dem Motto "das Wort NICHT
existiert NICHT")?
Stellt sich damit nicht automatisch das ganze Verfahren in Frage, weil
es transsexuelle Menschen zum Lügen zwingt (auch rechtlich), da ja das
Diagnoseverfahren in das TSG eingebettet ist, aber derart nun eben
nicht funktionieren kann?
Ist es rechtens...
Menschen während des Gutachterverfahrens gegen ihren Willen als das
Geschlecht zu behandeln, dem sie psychisch nicht angehören (obwohl vor
30 Jahren bereits gegenteilig geurteilt wurde)?
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Das bisherige Verfahren IST paradox - nur ist es (aus welchen
Gründen auch immer) noch niemandem aufgefallen, daß das TSG mittels
Einbindung eines Gutachterverfahrens nach ICD und DSM keinerlei
erfüllbare Logik besitzt. Ebensogut könnte das komplette Gesetz so auch
ganz weggelassen werden, da der rechtsfreie Raum, der sich durch dieses
Paradoxon auftut nun genau die gleiche Unsicherheit bedeutet, wie er es
ganz ohne TSG wäre: Die Entscheidung über das Rechtsgeschlecht eines
Menschen liegt in der Hand Dritter - und die können (da es ja keinerlei
Rechtssicherheit gibt für die "Patienten") dann entscheiden wie es
ihnen gefällt (wobei sie es ja nach Urteil von 1978 gar nicht dürften -
es wäre lediglich ein JA möglich...womit das ganze Verfahren obsolet
ist -, da ja eine gegenteilige Entscheidung zu Lasten des Patienten nun
bedeuten würde, daß ein Mensch gegen sein Willen als das Geschlecht
behandelt werden würde, dem dieser psychisch NICHT angehört*******).
Nach Gutdünken. Absurd? Ja.
******* oder soll das heissen, daß ein Dritter über die Beschaffenheit
der Psyche des betroffenen Menschen entscheidet (wie soll das gehen?
Kann jemand in den Kopf eines anderen Menschen kriechen?)... wobei das
dann ja auch nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre (Die
Menschenwürde ist ein universelles Recht - siehe Urteil 1978)?
Von den am 28. Februar in Berlin anwesenden (und von mir
angeschriebenen) Sachverständigen gibt es bisher nur eine Antwort (und
die mündlich).
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