Das spannendste in dieser Woche war dann doch ein Email-Austausch
zwischen mut23.org und dem LSVD, dem Lesben- und Schwulenverband in
Deutschland. Manfred Bruns vom LSVD war u.a. einer der Menschen, die im
Februar in Berlin Stellungnahmen im Zusammenhang mit der Neuschaffung
eines zeitgemässen Transsexuellengesetzes, für die Politik abgegeben
hatten. Da ich ihn damals bereits darauf angesprochen hatte, warum er
denn an dem "Gutachterverfahren" festhalten will und einen sehr dünne
Antwort erhalten hatte, wolle ich nun noch einmal nachhaken.
Herausgekommen ist etwas, das sich schon fast ein kleines Interview
nennen kann.
Erkennt der LSVD, daß sich Geschlechtesidentität nicht durch einen
Gutachter bestimmen/feststellen lässt? In wieweit sieht der LSVD es als
nötig an, den Begirff "Geschlechtsidentitätsstörung" (wie er als
Diagnosestellung unter dem ICD-Code F64.0 definiert ist) durch einen
Begriff zu ersetzen, der die geschlechtliche Identität eines Menschen
respektiert? Ist es dem LSVD klar, daß ein Mensch mit einem Penis nicht
unbedingt ein Mann, und ein Mensch mit Gebärmutter nicht unbedingt eine
Frau sein muss? Kann der LSVD der Logik folgen, daß es sich - weil das
Gehirn das wichtigste Organ des Menschen ist - bei Transsexualität um
eine körperliche Störung handelt (die mit starken sekundären
psychischen Folgen zu tun haben kann, wenn man sie nicht als solche
erkennt)?
Und zu guter letzt: Setzt sich der LSVD dafür ein, daß die
Bundesregierung die menschenrechtsverletzende Annahme, daß
Transsexualität eine psychische Störung ist, dahingehend ändert, daß...
a) ein neues Transsexuellengesetz betroffenen Menschen das Recht gibt,
unabhängig des Einflusses durch Dritte (dazu zählen auch psychologische
Gutachter) ihren Geschlechtseintrag/Personenstand ändern zu lassen?
b) die Diagnosestellung F64.0 Geschlechtsidentitätsstörung derart
geändert wird, daß aus der Formulierung klar hervorgeht, daß ein
transsexueller Mensch deswegen körperliche Maßnahmen benötigt, weil
dieser darunter leidet, daß der Körper vom EIGENEN Geschlecht abweicht?
Manfred Bruns, LSVD:
Wir engagieren uns
sehr intensiv für die Reform des Transsexuellengesetzes, siehe den
Artikel in unserer Mitgliederzeitung "respekt!"
http://typo3.lsvd.de/fileadmin/pics/Dokumente/News/respekt0704.pdf und
dort Seite 10, sowie http://typo3.lsvd.de/138.0.html#3122 und dort den
Abschnitt "Anträge und Gesetzentwürfe:"
Die Stellungnahme des LSVD ist mir ja bekannt, darum hatte ich Ihnen ja
konkrete Fragen gestellt. Ich hoffe, daß sie sie mir noch beantworten.
Hier wiederhole ich sie gerne einmal:
Setzt sich der LSVD dafür ein, daß die Bundesregierung die
menschenrechtsverletzende Annahme, daß Transsexualität eine psychische
Störung ist, dahingehend ändert, daß ein neues Transsexuellengesetz
betroffenen Menschen das Recht gibt, unabhängig des Einflusses durch
Dritte (dazu zählen auch psychologische Gutachter) ihren
Geschlechtseintrag/Personenstand ändern zu lassen?
Manfred Bruns:
Nach den
Gesprächen, die wir geführt haben, ist eine Personenstandsänderung ohne
Beteiligung eines Gutachters zur Zeit nicht durchsetzbar.
Machen Sie sich stark dafür, daß die Diagnosestellung F64.0
Geschlechtsidentitätsstörung derart geändert wird, daß aus der
Formulierung klar hervorgeht, daß ein transsexueller Mensch deswegen
körperliche Maßnahmen benötigt, weil dieser darunter leidet, daß der
Körper vom EIGENEN Geschlecht abweicht?
Manfred Bruns:
Nach den
sexualwissenschaftlichen Erhebungen benötigen etwa 20 bis 30 % der
Transsexuellen solche körperlichen Veränderungen nicht. Wir setzen uns
deshalb dafür ein, dass Ihnen eine Personenstandsänderung auch ohne
geschlechtsangleichende Operation ermöglicht wird.
Warum spricht der LSVD von Mann-zu-Frau-Transsexuellen und
Frau-zu-Mann-Transsexuellen, wo es doch - ist das Gehirn
geschlechtsbestimmend (eine Annahme die in UK 2004 zum sog. Gender
Recognition Act geführt hat) - gar nicht darum geht sein Geschlecht zu
wechseln - sondern primär lediglich um das Wechseln der rechtlichen
Geschlechtszuordnung, die zum Zeitpunkt der Geburt ja bereits falsch
gewesen ist?
Manfred Bruns:
Weil es beim Transsexuellengesetz um den Prozess der rechtlichen Änderung des Vornamens und des Personenstands geht.
Was ist - ich nehme jetzt mal nur ein Beispiel - eine transsexuelle
Frau für den LSVD? Ist sie als FRAU auf die Welt gekommen mit 'nem
Penis? Ist sie als Mann auf die Welt gekommen, der irgendwann einmal
beschloßen hat, Frau zu WERDEN?
Manfred Bruns:
Eine transsexuelle Frau ist für den LSVD eine Frau.
Ist Ihnen bewusst, daß die Gutachterpraxis ja das eigentliche
Kernproblem darstellt, da diese ja nur "funktionieren" kann, wenn man
davon ausgeht, daß es sich bei transsexuellen Frauen um Männer handelt,
die einen geistigen Schaden haben - sprich: F64.0 -
Geschlechtsidentitätsstörung..... ?
Manfred Bruns:
Das sehen die Politiker leider anders. Wir bemühen uns sehr darum, dass
die Anforderungen an die Gutachten herabgesetzt werden und haben
vorgeschlagen, ein Attest genügen zu lassen. Aber schon das wird sich
so nur zum Teil durchsetzen lassen.
Warum sollte aber, sowie sie es ja selbst in ihrer letzten Mail
geschrieben haben, eine FRAU ein Gutachten erstellen lassen, in welchem
sie zum MANN mit psychischer Störung erklärt wird (wie es ja nun einmal
nach ICD üblich ist)? (Ich habe erst in den letzten Tagen ein Gutachten
einer Betroffenen in den Händen gehalten, wo mir nach dem Lesen
regelrecht schlecht geworden ist...)
Manfred Bruns:
Die Politiker sind
zur Zeit nicht bereit, bei der Änderung des Personenstands von
Transsexuellen auf die Beteiligung eines Gutachters zu verzichten. Das
wird auch in naher Zukunft nicht durchsetzbar sein.
Vielen Dank.
Nach diesem Email-Verkehr habe ich nun noch mehr den Eindruck, daß der
LSVD das eigentliche Thema nun gar nicht verstanden hat. Vielleicht
liegt das daran, daß Homosexualität einmal als "Sexuelle
Orientierungsstörung" galt und Transsexualität heute noch als
"Geschlechtsidentitätsstörung", zwei doch nicht ganz gleiche Dinge, die
nicht verwechselt werden wollen. Dennoch sind die
Menschenrechtsverletzungen, die entstehen - wenn man die
Kernproblematik ignoriert - in ihrer Auswirkung die selben, nur eben
mit einem Zeitversatz, der hier schon ein viertel Jahrhundert
überschreitet.
Über 30 Jahre nach dem Stonewall Riot erhoffe ich mir, daß der
Lesben und Schwulenverband sich daran erinnert, was die Voraussetzung
war, daß Homosexuelle überhaupt die Möglichkeit hatten mit ihrem Kampf
um Anerkennung und Gleichberechtigung zu beginnen - es war die
Anerkennung dessen, daß Homosexualität keine "sexuelle
Orientierungsstörung" ist. Für transsexuelle Menschen bedeutet die
aktuelle Situation, das Leugnen, daß es Menschen gibt, deren
Geschlechtsorgane von ihrem eigentlichen Geburtsgeschlecht abweichen
(wie es im Gutachterverfahren nach F64.0 "Geschelchtsidentitätsstörung"
definiert), eine ebensolche Menschenrechtsverletzung wie sie
Homosexuellen noch in den 60ern mit einer ähnlichen Einklassifizierung
ergangen ist.
Es wäre an der Zeit hier zu Erkennen - auch für Vertreter des LSVD, als
wichtiges Organ in Deutschland - daß das Gutachterverfahren im
Zusammenhang mit der Behandlung transsexueller Menschen den Kern der
Diskriminierung ausmacht.
Es geht hier um die rechtliche Anerkennung von Menschen, die bisher von
Medizin und Recht zu nicht-existent erklärt werden, da es in
Deutschland nach offizieller Sichtweise keine Frauen gibt, die mit
Penis geboren werden und keine Männer mit Gebärmutter. Trotzdem gibt es
diese Menschen.
Warum sollte hier weiterhin die Existenz transsexueller Menschen geleugnet werden?
Ich wünsche mir hier ein wenig mehr Einsatz des LSVD. Ich
wünsche mir einen wirklichen Einsatz - nicht eine Pseudolösung, weil
angeblich irgend etwas nicht durchsetzungsfähig ist. Ich ziehe noch
einmal einen Vergleich: Hätten sie Ende der 60er es als "gute" Lösung
angesehen, wenn Homosexualität weiterhin als geistige Störung angesehen
worden wäre und ein Gutachter darüber entschieden hätte, daß sie nur
schwul sein dürfen, wenn sie sich vorher per Gutachten zu geisteskrank
erklärt hätten? Wie hätten sie reagiert, wenn irgendeine Organisation
ihnen dann gesagt hätte "sieh, ich setze mich dafür ein deine
Schwulseins-Erlaubnis derart zu ändern, daß Du nicht mehr 2 Gutachter
brauchst, die dich für verrückt erklären, sondern nur noch einen!"?
Hätten Sie sich gut vertreten gefühlt? Was hätten sie geantwortet?
Hätten sie gesagt "Oh, ist ja toll... da will mir jemand helfen,
einfacher für gestört erklärt werden zu können, damit ich Sex haben
kann?". Nicht wirklich oder?
Diese Fragen hat mir Herr Bruns dann nicht beantwortet.
Hier noch einmal ein Zitat aus dem Fachgespräch, zu dem Manfred Bruns
als einer der Sachverständigen geladen war, und auf den sich das obige
Interview bezieht. Aus diesem geht hervor, daß es sehrwohl möglich sein
würde, eine menschenrechtskonforme Regelung im Zusammenhang mit der
rechtlichen Anerkennung von Menschen, deren Genitalien vom
Geburtsgeschlecht abweichen, zu finden.
Aus dem Protokoll der Öffentliche Anhörung zur Thematik
„Transsexuellenrecht“ am Mittwoch, 28. Februar 2007 im Paul-Löbe-Haus
in Berlin.
Zitat: Gabriele Fograscher (MdB, SPD)
"Wäre es denn nicht ausreichend, eine Form von Beratungsschein zu
machen? Man könnte verlangen, dass jemand, der eine
Personenstandsänderung oder Namensänderung vorhat, sich beraten lässt,
auch im Hinblick auf die Konsequenzen, die Folgen, die dies in seinem
Lebensumfeld haben wird. Dieser Beratungsschein ist dann ausreichend;
ein medizinisches Gutachten würde nicht mehr gebraucht."
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