Es gibt Tage, an denen Dinge passieren, die scheinbar unabhängig
voneinander sind, aber dennoch irgendwie doch etwas miteinander zu tun
haben. Das eine ist, dass ich gestern in einen Spiegelartikel
hineingelesen habe (Nr. 11/2008 "Die Täter"), der sich mit der Frage
bschäftigt, warum es kurz vor der Mitte des letzten Jahrhunderts so
viele Deutsche gegeben hat, die scheinbar willenlos das Nazi-System
unterstützt haben. So heisst es als Erklärungsansatz:
"(Harald) Welzer (Sozialpsychologe) verweist darauf, dass Menschen
in einer konstruierten Welt leben. Sie deuten das Geschehen gemäss
eines 'normativen Referenzrahmens', der ihnen hilft, Entscheidungen zu
treffen."
Übersetzt hiesse das in etwa: Weil es bestimmte Regeln gibt, halten
sich die Menschen daran, diese Regeln zu stützen - egal ob sie objektiv
betrachtet falsch und menschenverachtend sind - der "Referenzrahmen"
gibt ihnen ja vor, etwas richtiges zu tun. Warum sollte also, so denkt
die Spezies Mensch wohl, etwas, was als richtig vorgegeben wird in
Frage stellen?
Passend dazu gab es dann die zweite Begebenheit gestern: ein Telefonat
mit einer Person, welche die Leiterin einer Selbsthilfegruppe für
transsexuelle Menschen ist. Ich hatte sie zuvor angemailt, weil ich sie
anregen wollte, sich einmal über die Regelungen des TSG Gedanken zu
machen, und ob nicht schon deswegen Reformen nötig wären, da ja in der
Realität viele schlimme Dinge im Zusammenhang mit der medizinischen
Bhenadlung, aber auch der Begutachtung stattfinden. Ihr zu erklären,
warum nun das Gutachterverfahren eines der Kernprobleme darstellt,
endete dann damit, dass dieser Mensch immer lauter wurde, mir
weismachen wollte, man müsse sich eben an die Regeln und Gesetze halten
(ohne sie kritisch zu hinterfragen) und dass es überhaupt keine
Probleme gäbe. Das Telefonat endete damit, dass dieser Mensch mich
anschrie und ich wüst beschimpft wurde.
Das dritte Erlebnis gestern war dann eines, das dann bei näherer
Betrachtung auch wieder dazu passte. Es war ein Eintrag in einem
Internetforum, in welchem ein mit Vagina und Gebärmutter geborener Mann
über seine Erlebnisse bei einem Gutachter berichtete. Er schrieb:
"Ich hatte heute meinen ersten Gutachtertermin und war geschockt, als
er eine körperliche Untersuchung durchführen wollte, bei der es nicht
nur um Reflexe und Koordination ging, sondern wo ich auch
splitterfasernackt da stand und er alles an mir gemustert hat,
inklusive Genital. Ich habe ihn auch noch gefragt, ob es nicht sinniger
wäre, diese Art von Untersuchung über meine biologische weiblichkeit
dem Frauenarzt zu überlassen, aber nein, er sagte, er müsse dies tun,
das würde in dem Procedere so gefordert."
Es ist nicht das erste Mal, dass mir solche Geschichten begegnen und
wenn ich alle drei Begebenheiten des gestrigen Tages zusammennehme,
dann lässt sich zusammenfassen: Es liegt wohl am "normativen
Referenzrahmen". Heftig.
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