Es kam Post von Frau Piltz von der FDP (MdB). Ich hatte ihr zuvor
ein paar Fragen geschickt und freue mich nun die Antworten präsentieren
zu können. Hier sind sie:
Sehr geehrte Frau Schicklang,
haben Sie vielen Dank für Ihre E-Mail zum Transsexuellengesetz. Über
Ihr Interesse an dem Engagement der FDP-Bundestagsfraktion zum
Transsexuellengesetz habe ich mich sehr gefreut. Wir haben dieses Thema
bereits seit vielen Jahren politisch besetzt und hierzu verschiedene
Initiativen in den Deutschen Bundestag eingebracht.
Zu Recht weisen Sie in Ihrem Schreiben auf Defizite im Bereich der
Begutachtung hin. Das derzeitige Verfahren und die
Zugangsvoraussetzungen für Vornamensänderung und Änderung des
Personenstandes werden vielfach als unzumutbar angesehen. Das geltende
Recht sieht für die Betroffenen zahlreiche Hürden vor, bis sie ihre
geschlechtliche Identität auch rechtlich zum Ausdruck bringen können.
Es gibt bei den Betroffenen unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich
der Begutachtung. Teilweise wird die Begutachtung gänzlich für
entbehrlich gehalten, andere wollen weiter daran festhalten. Auch bei
der Frage, wie viele Gutachten notwendig sind, herrscht kein
einheitliches Bild. Übereinstimmung besteht jedoch in der Forderung,
das Verfahren insgesamt zu kürzen und zu straffen. Interessante
Ergebnisse hat hierzu die Auswertung der im Jahr 2000 vom
Bundesministerium des Innern erbetenen Stellungnahmen von Betroffenen
gebracht. Danach wird angeregt, die Qualifikation der Gutachter zu
verbessern und ggf. den Kreis der für TSG-Verfahren zugelassenen
Gutachter festzulegen, die Qualifikation dem Gericht nachzuweisen, eine
Höchstdauer für die Gutachtenerstellung zu bestimmen und die beiden
Gutachten durch das Gericht parallel in Auftrag zu geben. Diese
Vorschläge könnten geeignet sein, das Verfahren insgesamt effektiver
auszugestalten und die Belastungen für die Betroffenen deutlich zu
reduzieren.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Anregungen zu diesem Thema, die uns für
die weitere parlamentarische Diskussion zur Reform des
Transsexuellengesetzes eine wertvolle Hilfe sein werden. Die
Ankündigung der Bundesregierung, eine Reform des Transsexuellengesetzes
voraussichtlich erst in der kommenden Wahlperiode vorzunehmen, versteht
die FDP-Bundestagsfraktion als Auftrag, dieses wichtige Thema weiterhin
parlamentarisch voranzubringen. Wir werden die Bundesregierung nicht
aus ihrer Verantwortung entlassen in der Hoffnung, möglichst bald einen
verfassungsrechtlich einwandfreien und praxisgerechten Rechtsrahmen für
transsexuelle Menschen zu bekommen.
Mit freundlichen Grüßen
Gisela Piltz MdB
Anmerkung: Leider ist, obwohl die Antwort ja ziemlich nett
geschrieben war, und es ja nicht selbstverständlich ist, hier überhaupt
eine Antwort zu erhalten, dieses Schreiben doch noch ein wenig
lückenhaft formuliert, so dass ich hier nocheinmal eine Mail hinterher
geschickt habe, um eventuell zum eigentlichen Kernthema noch eine
Antwort zu erhalten: Der bisherigen Nichtanerkennung von Menschen,
deren Körper stellenweise von ihrem eigentlichen Geschlecht
(Psyche/Gehirn) abweicht.
Sehr geehrte Frau Piltz,
vielen lieben Dank für ihre ausführliche Antwort, ich möchte aber doch
gerne einmal noch etwas näher hervorheben. Sie schreiben, dass es
unterschiedliche Betrachtungen gibt über die Art und den Umfang der
Begutachtungen. Hier lohnt sich einmal genauer zu unterscheiden, was
sich denn bislang unter der Begutachtung verstehen lässt. Einerseits
besteht ja nun die Möglichkeit das Gutachten rein rechtlich zu
betrachten, und in der Tat dreht es sich im bisherigen
Transsexuellengesetz auch darum: Einer personenstandsrechtlichen
Anerkennung. Das Bundesverfassungsgericht schrieb hier 1978 bereits:
"Es müsse aber heute als gesicherte medizinische Erkenntnis angesehen
werden, daß die Geschlechtlichkeit eines Menschen nicht allein durch
die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane und -merkmale bestimmt werde,
sondern auch durch die Psyche. Die Rechtsordnung dürfe diese
Gegebenheiten nicht unberücksichtigt lassen, weil sie in gleichem, wenn
nicht sogar in stärkerem Maße als die körperlichen Geschlechtsmerkmale
die Fähigkeiten des Menschen zur Einordnung in die sozialen Funktionen
der Geschlechter bestimmten und weil Gegenstand der auf das Geschlecht
abstellenden Rechtsnormen eben diese sozialen Funktionen seien."
Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -
Besonders hervorzuheben wäre hier der Satz "zur Einordnung in die
sozialen Funktionen der Geschlechter", macht er nämlich deutlich, dass
ein Staat wie die Bundesregierung Deutschland letzendlich hier
lediglich das Interesse einer rechtlichen Einordnung haben kann.
Berücksichtigt man ausserdem noch dies hier...
"Die Fachwelt erachtet es mittlerweile auch bei einer weitgehend
sicheren Diagnose 'Transsexualität' nicht mehr als richtig, daraus
stets die Indikation für geschlechtsumwandelnde Maßnahmen abzuleiten.
Vielmehr müsse individuell im Rahmen einer Verlaufsdiagnostik bei jedem
einzelnen Betroffenen festgestellt werden, ob eine
Geschlechtsumwandlung indiziert sei."
Bundesverfassungsgericht zum Beschluss vom 6. Dezember 2005 - 1 BvL 3/03 -
...wird deutlich, dass für die rechtliche Einordnung eines Menschen vom
Bundesverfassungsgericht medizinische Notwendigkeiten als nicht mehr
zwingen angesehen werden und es darauf hineist, dass die
"geschlechtsumwandelnden Maßnahmen" individuell und im Rahmen einer
Diagnostik geklärt werden sollten. Die personenstandsrechtliche
Anerkennung ist also das eine - das andere sind die medizinischen
Massnahmen.
Ich möchte mich nun auf die Gruppe der Betroffenen beziehen, welche der
bisherigen Gutachtenerstellung positiv gegenüber stehen. Meiner
Beobachtung nach liegt das nun an folgendem. Ein Gutachten wäre ihrer
Ansicht nach deswegen wichtig, weil sonst die Gefahr gross wäre, dass
Nichtbetroffene medizinische Massnahmen erhalten. Auch von einigen
Vertretern der sexualwissenschaftlichen Institute ist dieses Argument
für eine Begutachtung zu hören, weist man darauf hin, dass es ja
wichtig wäre hier Experten über die geschlechtsangleichenden Schritte
entscheiden zu lassen um eventuell Nichtbetroffene vor irreversiblen
körperlichen Veränderungen zu schützen.
Nun handelt es sich, und deswegen ist es wichtig genauer hinzusehen,
hier ja um zwei völlig unterschiedliche Dinge: Auf der einen Seite eine
rechtliche Anerkennung - andererseits um medizinische Massnahmen.
Leider werden diese beiden, sich auf unterschiedlichen Ebenen
befindenden Interessenslagen bislang im Transsexuellengesetz vermischt,
woraus genau die negativen Folgen entstehen, die ich in meiner letzten
Mail angedeutet habe und in der Realität eine Einschränkung der
Grundrechte gegenüber den Betroffenen darstellt. Eine betroffene
transsexuelle Frau beispielsweise (mit Penis und Hoden geboren) gilt
somit zu Beginn der Behandlung als Mann, und wird erst am Ende des
medizinischen Verfahrens rechtlich als existent anerkannt.
Die Lösung dieses Dilemmas wäre einfach: Die Trennung von
Personenstandsanerkennung und dem Verfahren der
medizinisch-körperlichen Veränderungen. Folgende Vorschläge liegen der
Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung seit 2006 vor:
A) Abschaffung des Gutachterverfahrens zur Personenstandsänderung (um die Betroffenen von Druck und Kosten zu entlasten)
B) Einführung einer Diagnostik, die es ermöglicht individuell und zum
Wohle der Patienten individuelle körperliche Massnahmen einzuleiten
(eine Begutachtung, damit eben sichergestellt ist, dass nur diejenigen,
die wirklich körperliche Massnahmen benötigen, diese auch erhalten bzw.
diejenigen geschützt sind, bei denen den Körper verändernde
Massnahmen zu mehr Leid fürhen würden)
Da nun das Bundesverfassungsgericht bereits 2003 richtigerweise darauf
hingewiesen hat, dass die körperlichen Massnahmen keine Voraussetzung
für eine Personenstandsänderung mehr sein sollten, wäre ein
Gutachterverfahren zur Personenstandsänderung nun ja lediglich noch
eines, in welchem ein Gutachter über die rechtliche Einordnung eines
Menschen entscheidet. Nun ist aber genau dies aus menschenrechtlicher
Sicht bedenklich - denn welcher Mensch kann entscheiden, eine
transsexuelle Frau (mit Penis geboren) nun den Zugang zur rechtlichen
Anerkennung als Frau zu verwehren, und anhand welcher Kriterien, wenn
wir uns doch längst in einer Welt vermuten, in denen die
Geschlechtsrollenklischees wie Kleidung, Auftreten usw. Schnee von
gestern sein sollten?
Welcher Beliebigkeit die Begutachtung auch heute schon unterliegt
(obwohl sich die sexualwissenschaftlichen Institute darum bemühen dies
anders darzustellen), zeigt sich vielleicht besser, wenn ich hier ein
paar (zum Teil beschämende) Beispiele von Gutachtenerstellungen
anführe, die aus den letzten 2007 und 2008 stammen:
Einem Mann passiert:
"Zuerst einmal fing es damit an, dass er mich nicht mit männlicher Form
anreden wollte, er sagte, das dürfe er nicht." ... "Schließlich kam
dann nach knapp 2 Stunden Gespräch die Ankündigung, dass er mich nun
körperlich untersuchen müsse. Ich fragte ihn, ob ich mich dabei ganz
ausziehen muss und wenn es um die Feststellung geht, dass mein
biologischer Körper weiblich ist, ob es da nicht sinnvoller wäre, einen
Gynäkologen hinzuzuziehen. Er erwiderte, dass ich das sowieso
zusätzlich noch machen müsse, also gynäkologische Untersuchung und
Chromosomentest. Er müsse mich auch körperlich untersuchen, das sei so
gefordert. Wenn er das nicht machen kann, könne er kein Gutachten
schreiben. Also habe ich mich in mein Schicksal ergeben und bin ihm ins
Untersuchungszimmer gefolgt. Dann sagte er, dass bei der Untersuchung
einer Frau eine weitere Frau im Zimmer sein müsse und holte mit meiner
Zustimmung seine Sekretärin in das Untersuchungszimmer."..."Schließlich
kam dann der Punkt, wo ich mich ganz ausziehen musste. er betrachtete
mich dann in der Frontalansicht" ... "damit er meine Scham frontal ohne
Einschränkung sehen konnte. Danach konnte ich mich dann wieder anziehen
und das ganze war beendet."
Einer Frau passiert:
"Er empfahl mir mehrere homosexuelle Sexualpraktiken, die er genau
beschrieb, während ich mit ihm alleine im Zimmer war. Unter anderem
meinte er, ich müsste dringend mal einem Mann einen blasen, um mir
meiner Identität bewusst zu werden. Und Analsex wäre ebenfalls sehr
wichtig, egal, ob ich darauf stehe oder nicht. Es wäre nur wichtig für
mich, das einmal gemacht zu haben."
Ich möchte darauf hinweisen, dass dies keine EInzelfälle sind, sondern als häufig vermutet werden dürfen.
Weitere Beispiele:
"Nach ca 3 Minuten war ich wieder draußen. Stoßverkehr. Vor mir standen
5 andere Transen auf der Liste, für jeden waren 10 Minuten eingeplant.
Für was kommt ich da eigentlich noch? Ich hab fürs Haarestylen länger
gebraucht als für die Anhörung!"
"Bei meiner Zweitgutachtern war ich auch nur 2,45 Minuten.. Dafür hat das Gutachten mich auch 'nur' über 1000€ gekostet"
Ein geregeltes Gutachtersystem ist hier Fehlanzeige. Der Grund dafür
ist so simpel wie logisch: Wie soll ein Mensch, der sich
psychologischer Gutachter nennt, darüber entscheiden können, welche
rechtliche Einteilung (es geht ja immer noch offiziell im
Transsexuellengesetz um den Personenstand) die beste für einen
betroffenen Menschen wäre? So liegt das Problem in der Existenz des
Gutachterverfahrens an sich und ich bin mir sicher, dass es auch in den
nächsten 1000 Jahren nicht möglich sein wird, dass ein Mensch bestimmen
kann, welches psychische Geschlecht ein anderer Mensch besitzt.
Darüberhinaus wäre die Frage ausserdem: Muss das überhaupt sein? Wenn
es hier nur um die "Einordnung in die sozialen Funktionen der
Geschlechter" und um die daraus folgenden Rechtsvorschriften geht: Wen
ausser den Betroffenen selbst interessiert denn, was dieser Mensch für
einen Personenstand hat? Selbst der Betroffene wird wohl im Grossteil
seines Lebens selbst nichts mit dem Personenstand zu tun haben - ausser
eben da, wo die Geschlechtlichkeit des Menschen eine Rolle spielt...
eben auch und insbesondere bei der medizinischen Behandlung.
Nur ein Abschaffen des Gutachterverfahrens für die
Personenstandsänderung (aber nicht für die medizinischen Massnahmen)
kann daher die Grundlage für ein Gesetz sein, welches die Grundrechte
des Menschen beachtet. In Wikipedia heisst es dazu:
"Das Konzept der Menschenrechte geht davon aus, dass jeder Mensch von
Geburt an mit gleichen Rechten ausgestattet sein soll und diese
egalitär begründeten Rechte unveräußerlich und unteilbar sind sowie
universell Gültigkeit haben." und "Menschenrechte müssen demnach stets
in ihrer Gesamtheit verwirklicht sein."
Memschenrechte sind nicht erwerbbar (oder durch psychologische
Gutachten kaufbar), jeder Mensch hat sie von Geburt an. Menschenrechte
sind einem Menschen auch nicht nur teilweise zuzugestehen.
Vielen Dank,
Kim Anja Schicklang
Menschenrecht und Transsexualität
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