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08.06.2008
In der vergangenen Woche hat mut23.org der Pressesprecherin des LSVD Deutschland, Renate Rampf, eine Mail geschickt. Diese Mail hatte zum Ziel, Klarheit über die Position des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland zum Vorschlag der FDP zur Reform des Transsexuellengesetzes (der Ende Mai veröffentlicht wurde), zu erhalten. Wie bereits erwähnt beinhaltet der FDP-Vorschlag , ähnlich dem der Grünen von 2007, weiterhin das sogenannte Gutachterverfahren zur Anerkennung des Personenstandes transsexueller Menschen - ein menschenverachtendes Rechtsverfahren, welches den Kern der Diskriminierungen transsexueller Menschen darstellt.

Hier nocheinmal, warum das so ist:

a) das Gutachterverfahren respektiert nicht die geschlechtliche Identität eines transsexuellen Menschen, sondern erklärt diese zur "Identitätsstörung" (weil es den Körper als geschlechtsbestimmender definiert, von dem die Psyche abweiche)
b) das Gutachterverfahren steht gegen die Selbstbestimmung. Die geschlechtliche Rolle eines Menschen wird fremdbestimmt.
c) Das Gutachterverfahren hat keinerlei wissenschaftliche Grundlage, sondern beruft sich lediglich auf Vermutungen und Theorien aus der Psychoanalyse, die bisher nicht falsifiziert wurden
d) Das Gutachterverfahren setzt die Betroffenen einer unverhältnismässigen Nicht-Gleichbehandlung gegenüber Nicht-Betroffenen aus

Diese Liste liesse sich noch um einige Punkte verlängern. Da bisher keine Partei in der Lage war, sich einmal mit der Frage zu beschäftigen, inwiefern das Gutachterverfahren ein Verstoss gegen die Menschenrechte darstellt, erkennt man daran, dass Anfragen zu dieser Problematik, die von mut23 ausgingen (seit 2006), bislang nicht beantwortet wurden bzw. Antworten eingingen, die nicht viel mehr waren als "heisse Luft".

Interessant war nun, herauszubekommen, wie der LSVD, der im Februar in der Person von Manfred Bruns in Berlin anwesend war, um an einem Expertengespräch zur Reform des TSG teilzunehmen, den Gesetzesvorschlag der FDP bewertet. Im Jahr 2007 hatte der LSVD nämlich nicht im Fokus, sich dafür stark zu machen, den eigentlichen diskriminierenden Kern des TSG - eben das Gutachterverfahren - grundsätzlich in Frage zu stellen (wie der LSVD die Sache vor einem Jahr bewertet hat, ist hier auf mut23.org nachzulesen). Die Frage ist nun: Erkennt der LSVD überhaupt, dass das Gutachterverfahren die Kerndiskriminierung des TSG darstellt?

Folgende Mail von Frau Rampf ist nun eingegangen:

"Sehr geehrte Frau Schicklang,

jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob er oder sie sich als Mann oder Frau versteht. Deshalb plädieren wir dafür, es den Betroffenen so leicht wie möglich zu machen.

Wie ich höre, haben Sie in dieser Frage auch schon ausführlich mit unseren Justitiar und Bundesvorstandsmitglied Manfred Bruns gesprochen. Wir unterstützen den FDP-Vorschlag.

Herzliche Grüße
Renate Heike Rampf"

Das interessante ist hierbei, dass die Pressesprecherin des LSVD hier zum einen von einer "Entscheidung" spricht, obwohl doch klar sein dürfte, dass transsexuelle Menschen sich nicht freiwillig entscheiden, mit gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen geboren zu werden und zum anderen die Unterstützung des FDP-Vorschlages und der Beibehaltung des Gutachterverfahrens auf Basis einer Geschlechtsdefinition über den Körper und gleichzeitiger Annahme, es würde sich bei Transsexualität um eine Abweichung zum körperbestimmten Geburtsgeschlecht handeln. Dass aber der Körper nicht geschlechtsbestimmend ist, sondern Psyche/Gehirn hat sich beim LSVD anscheinend ebenso wenig herumgesprochen, wie bei der FDP oder der Lobby, der das Gutachterverfahren bis heute nutzt: Der psychoanalytisch geprägten Sexologie .

Jetzt aber wird es noch ein bisschen Spannender. Obwohl der LSVD hier für ein Gutachterverfahren ist bzw. mit diesem kein Problem zu haben scheint, da der FDP-Entwurf ja unterstützt wird (siehe Mailantwort oben), ist der LSVD Partner der sogenannten "Yogyakarta-Prinzipien".

Bereits im März 2007 haben mehrere internationale Menschenrechtsexperten einen globalen Standard für die Sicherung der Rechte u.a. auch für transsexuelle Menschen veröffentlicht, die seit 2008 auch in der deutschen Version vorliegen und bei der Hirschfeld-Eddy-Stiftung erhältlich sind, einer Stiftung, die quasi aus dem LSVD geboren wurde.

Was nun nicht zusammenpasst ist folgendes: Zum einen stellt sich der LSVD hinter einen FDP-Gesetzesvorschlag, welcher die geschlechtliche Selbstbestimmung nicht respektiert, sondern eine Fremdbestimmung durch einen Gutachter vorzieht, zum anderen unterstützt der LSVD Prinzipien, die genau das Gegenteil sagen.

In Prinzip 3 der Yogyakarta-Prinzipien heisst es zum Beispiel:

Das Recht auf Anerkennung vor dem Gesetz

Jeder Mensch hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden. Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität müssen in allen Lebensbereichen in den Genuss der Rechtsfähigkeit kommen. Die selbstbestimmte sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität jedes Menschen ist fester Bestandteil seiner Persönlichkeit und eines der grundlegenden Elemente von Selbstbestimmung, Würde und Freiheit.

Ein Gutachterverfahren,  in welchem über die geschlechtlich Rolle eines Menschen und seine rechtliche Anerkennung fremdbestimmt wird, steht hierzu im Widerspruch.

Weiter heisst es:

DIE STAATEN MÜSSEN

B)  

alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und sonstigen Maßnahmen ergreifen, damit die selbstbestimmte geschlechtliche Identität jedes Menschen in vollem Umfang geachtet und rechtlich anerkannt wird;

Ein Verfahren, welches die geschlechtliche Identität eines transsexuellen Menschen leugnet, in dem es den Körper als geschlechtsbestimmende Basis nimmt, um hinterher eine "Geschlechtsidentitätsstörung zu bescheinigen, steht auch hierzu im Widerspruch. Ebenso dieses hier:

C)  

alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und sonstigen Maßnahmen ergreifen, um dafür zu sorgen, dass es Verfahren gibt, durch die auf allen vom Staat ausgegebenen persönlichen Dokumenten, in denen das Geschlecht (gender/sex) eines Menschen angegeben wird - z.B. Geburtsurkunden, Reisepässe, Wählerverzeichnisse usw. - die von der betroffenen Person selbst bestimmte geschlechtliche Identität genannt wird;

Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, wer das Gelesene anwenden kann, noch mehr. Auch an dieser Stelle steht: selbstbestimmt, nicht fremdbestimmt. Es gibt noch eine Menge anderer Punkte, die diesen internationalen Prinzipien entnommen werden können - wer sich diese "Yogyakarta"-Prinzipien betrachtet, wird feststellen, dass weite Teile in Deutschland weiter munter ignoriert werden. Da mutet es doch seltsam an, wenn die Bundesregierung Dinge schreibt wie:

"Die Bundesregierung, die nach eigener Aussage auf internationaler Ebene seit Jahren konsequent gegen Diskriminierung sexueller Minderheiten eintritt, betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien als einen wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft."
hib-Meldung 020/2008 Datum: 23.01.2008

Welch Zynismus. Man könnte auch fragen: Scheint hier mehr, als wirklich ist? Und: was mag der Grund dafür sein, dass ein Mensch nicht bereit ist die Menschenrechtsverbrechen zu erkennen, die sich aus dem im TSG eingebetten Gutachterverfahren ergeben? Die dunkle Seite der Macht? Erklär' mir das mal einer.

Link: Die Yogyakarta-Prinzipien komplett
 
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