In der vergangenen Woche hat mut23.org der Pressesprecherin des LSVD
Deutschland, Renate Rampf, eine Mail geschickt. Diese Mail hatte zum
Ziel, Klarheit über die Position des Lesben- und Schwulenverbandes in
Deutschland zum Vorschlag der FDP zur Reform des Transsexuellengesetzes
(der Ende Mai veröffentlicht wurde), zu erhalten. Wie bereits erwähnt
beinhaltet der FDP-Vorschlag , ähnlich dem der Grünen von 2007,
weiterhin das sogenannte Gutachterverfahren zur Anerkennung des
Personenstandes transsexueller Menschen - ein menschenverachtendes
Rechtsverfahren, welches den Kern der Diskriminierungen transsexueller
Menschen darstellt.
Hier nocheinmal, warum das so ist:
a) das Gutachterverfahren respektiert nicht die geschlechtliche
Identität eines transsexuellen Menschen, sondern erklärt diese zur
"Identitätsstörung" (weil es den Körper als geschlechtsbestimmender
definiert, von dem die Psyche abweiche)
b) das Gutachterverfahren steht gegen die Selbstbestimmung. Die geschlechtliche Rolle eines Menschen wird fremdbestimmt.
c) Das Gutachterverfahren hat keinerlei wissenschaftliche Grundlage,
sondern beruft sich lediglich auf Vermutungen und Theorien aus der
Psychoanalyse, die bisher nicht falsifiziert wurden
d) Das Gutachterverfahren setzt die Betroffenen einer
unverhältnismässigen Nicht-Gleichbehandlung gegenüber Nicht-Betroffenen
aus
Diese Liste liesse sich noch um einige Punkte verlängern. Da bisher
keine Partei in der Lage war, sich einmal mit der Frage zu
beschäftigen, inwiefern das Gutachterverfahren ein Verstoss gegen die
Menschenrechte darstellt, erkennt man daran, dass Anfragen zu dieser
Problematik, die von mut23 ausgingen (
seit 2006), bislang nicht beantwortet wurden bzw. Antworten eingingen, die nicht viel mehr waren als "heisse Luft".
Interessant war nun, herauszubekommen, wie der LSVD, der im Februar in der Person von Manfred Bruns
in Berlin anwesend war, um an einem Expertengespräch zur Reform des TSG
teilzunehmen, den Gesetzesvorschlag der FDP bewertet. Im Jahr 2007
hatte der LSVD nämlich nicht im Fokus, sich dafür stark zu machen, den
eigentlichen diskriminierenden Kern des TSG - eben das
Gutachterverfahren - grundsätzlich in Frage zu stellen (wie der LSVD
die Sache vor einem Jahr bewertet hat, ist hier auf mut23.org
nachzulesen). Die Frage ist nun: Erkennt der LSVD überhaupt, dass das
Gutachterverfahren die Kerndiskriminierung des TSG darstellt?
Folgende Mail von Frau Rampf ist nun eingegangen:
"Sehr geehrte Frau Schicklang,
jeder Mensch sollte selbst entscheiden können, ob er oder sie sich als
Mann oder Frau versteht. Deshalb plädieren wir dafür, es den
Betroffenen so leicht wie möglich zu machen.
Wie ich höre, haben Sie in dieser Frage auch schon ausführlich mit
unseren Justitiar und Bundesvorstandsmitglied Manfred Bruns gesprochen.
Wir unterstützen den FDP-Vorschlag.
Herzliche Grüße
Renate Heike Rampf"
Das interessante ist hierbei, dass die Pressesprecherin des LSVD hier
zum einen von einer "Entscheidung" spricht, obwohl doch klar sein
dürfte, dass transsexuelle Menschen sich nicht freiwillig entscheiden,
mit gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen geboren zu werden und zum
anderen die Unterstützung des FDP-Vorschlages und der Beibehaltung des
Gutachterverfahrens auf Basis einer Geschlechtsdefinition über den
Körper und gleichzeitiger Annahme, es würde sich bei Transsexualität um
eine Abweichung zum körperbestimmten Geburtsgeschlecht handeln. Dass
aber der Körper nicht geschlechtsbestimmend ist, sondern Psyche/Gehirn
hat sich beim LSVD anscheinend ebenso wenig herumgesprochen, wie bei
der FDP oder der Lobby, der das Gutachterverfahren bis heute nutzt: Der
psychoanalytisch geprägten Sexologie .
Jetzt aber wird es noch ein bisschen Spannender. Obwohl der LSVD hier
für ein Gutachterverfahren ist bzw. mit diesem kein Problem zu haben
scheint, da der FDP-Entwurf ja unterstützt wird (siehe Mailantwort
oben), ist der LSVD Partner der sogenannten "
Yogyakarta-Prinzipien".
Bereits im März 2007 haben mehrere internationale
Menschenrechtsexperten einen globalen Standard für die Sicherung der
Rechte u.a. auch für transsexuelle Menschen veröffentlicht, die seit
2008 auch in der deutschen Version vorliegen und bei der
Hirschfeld-Eddy-Stiftung erhältlich sind, einer Stiftung, die quasi aus
dem LSVD geboren wurde.
Was nun nicht zusammenpasst ist folgendes: Zum einen stellt sich der
LSVD hinter einen FDP-Gesetzesvorschlag, welcher die geschlechtliche
Selbstbestimmung nicht respektiert, sondern eine Fremdbestimmung durch
einen Gutachter vorzieht, zum anderen unterstützt der LSVD Prinzipien,
die genau das Gegenteil sagen.
In Prinzip 3 der Yogyakarta-Prinzipien heisst es zum Beispiel:
Das Recht auf Anerkennung vor dem Gesetz
Jeder Mensch hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu
werden. Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und
geschlechtlicher Identität müssen in allen Lebensbereichen in den
Genuss der Rechtsfähigkeit kommen. Die selbstbestimmte sexuelle
Orientierung und geschlechtliche Identität jedes Menschen ist fester
Bestandteil seiner Persönlichkeit und eines der grundlegenden Elemente
von Selbstbestimmung, Würde und Freiheit.
Ein Gutachterverfahren, in welchem über die geschlechtlich Rolle eines
Menschen und seine rechtliche Anerkennung fremdbestimmt wird, steht
hierzu im Widerspruch.
Weiter heisst es:
DIE STAATEN MÜSSEN
B)
alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und sonstigen
Maßnahmen ergreifen, damit die selbstbestimmte geschlechtliche
Identität jedes Menschen in vollem Umfang geachtet und rechtlich
anerkannt wird;
Ein Verfahren, welches die geschlechtliche Identität eines
transsexuellen Menschen leugnet, in dem es den Körper als
geschlechtsbestimmende Basis nimmt, um hinterher eine
"Geschlechtsidentitätsstörung zu bescheinigen, steht auch hierzu im
Widerspruch. Ebenso dieses hier:
C)
alle erforderlichen gesetzgeberischen, administrativen und sonstigen
Maßnahmen ergreifen, um dafür zu sorgen, dass es Verfahren gibt, durch
die auf allen vom Staat ausgegebenen persönlichen Dokumenten, in denen
das Geschlecht (gender/sex) eines Menschen angegeben wird - z.B.
Geburtsurkunden, Reisepässe, Wählerverzeichnisse usw. - die von der
betroffenen Person selbst bestimmte geschlechtliche Identität genannt
wird;
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil, wer das Gelesene anwenden kann,
noch mehr. Auch an dieser Stelle steht: selbstbestimmt, nicht
fremdbestimmt. Es gibt noch eine Menge anderer Punkte, die diesen
internationalen Prinzipien entnommen werden können - wer sich diese
"Yogyakarta"-Prinzipien betrachtet, wird feststellen, dass weite Teile
in Deutschland weiter munter ignoriert werden. Da mutet es doch seltsam an, wenn die Bundesregierung Dinge schreibt wie:
"Die Bundesregierung, die nach eigener Aussage auf internationaler
Ebene seit Jahren konsequent gegen Diskriminierung sexueller
Minderheiten eintritt, betrachtet die Yogyakarta-Prinzipien als einen
wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft."
hib-Meldung 020/2008 Datum: 23.01.2008
Welch Zynismus. Man könnte auch fragen: Scheint hier mehr, als wirklich
ist? Und: was mag der Grund dafür sein, dass ein Mensch nicht bereit
ist die Menschenrechtsverbrechen zu erkennen, die sich aus dem im TSG
eingebetten Gutachterverfahren ergeben? Die dunkle Seite der Macht?
Erklär' mir das mal einer.
Link:
Die Yogyakarta-Prinzipien komplett