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19.09.2008
Es ist ja schon fast als kafkaesk zu bezeichnen, wie Menschen aus der Politik damit umgehen, wenn man sie damit konfrontiert, dass das Gutachterverfahren, welches im TSG steckt, auf Grund seiner Paradoxie bereits menschenrechtlich bedenklich ist. Dass das Gutachterverfahren auf Grund der Anwendung subjektiver Kriterien durch die Gutachter und eines stereotypen Geschlechterbildes auch gegen internationale Abkommen verstösst, hat die Initiative Menschenrecht und Transsexualität bereits öfters angeprangert und ja bereits Ende Juli 2008 im Rahmen des CEDAW-Frauenrechtsabkommens in New York einem UN-Frauenrechtskomitee in Form eines NGO-Berichtes vermittelt. Dieser Bericht ist seit Ende Juli 2008 auf der Seite des OHCHR abrufbar.

Link zum Bericht auf der Seite des OHCHR:

http://www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw/cedaws43.htm

In diesem Bericht wird auf die Probleme hingewiesen, welche sich daraus ergeben, dass das Verfahren zur personenstandsrechtlichen Anerkennung transsexueller Menschen auf einem Ja-Nein-Verfahren basieren, in welchem selbst nach mehrjähriger medizinischer Behandlung völlig offen ist, ob die betroffenen Menschen überhaupt personenstandsrechtlich anerkannt werden, oder nicht. Aus Sicht von Menschenrecht und Transsexualität muss dieses entmündigende Entscheiderverfahren in einer echten Reform des Transsexuellengesetzes dahingehend geändert werden, dass eine transsexuelle Person selbstbestimmt auf Antrag seinen Personenstand ändern lassen kann, eine Forderung nach selbstbestimmter geschlechtlicher Identität, die so u.a. auch in den sogenannten Yogyakarta-Prinzipen erwähnt wird, welche von internationalen Menschenrechtsexperten bereits 2007 der Öffentlichkeit vorgestellt wurden (Prinzip 3b). Die Forderungen von Menschenrecht und Transsexualität sind hier nicht neu, haben doch bereits in Vergangenheit einige Gruppen transsexueller Menschen ähnliche Reformvorschläge erarbeitet.

Zu dem CEDAW-Termin Ende Juli in New York und dem NGO-Bericht hat Menschenrecht und Transsexualität nun alle am TSG-Reformverfahren beteiligten Parteien und Politiker die Bitte gerichtet hierzu einmal konkret Stellung zu beziehen. Interessanterweise ist bis heute keine sinnvolle Stellungnahme bei Menschenrecht und Transsexualität eingegangen - auch nach wiederholter telefonischer Aufforderung nicht. Bei der SPD /Gabriele Fograscher) hiess es, der Bericht wäre nicht angekommen, die CDU (Helmut Brandt) schweigt beharrlich und das Büro der Grünen (Frau Irmingard Schwewe-Gerigk) sieht sich bis heute nicht in der Lage einen Telefontermin zu organisieren. Zwei Rückmeldungen gab es dennoch, nämlich von den Linken und der FDP. Die Linken haben sich telefonisch gemeldet um mitzuteilen, dass noch eine Antwort zu dem CEDAW-Bericht an Menschenrecht und Transsexualität geschrieben wird. Das spannende ist aber welche Antwort die FDP (Frau Gisela Piltz) uns hat zukommen lassen. Hier mal ein Ausschnitt aus dem Schreiben von Frau Piltz vom 18. September:

"Ebenso wie der Bericht, fordert auch die FDP-Bundestagsfraktion eine Reform des Gutachterwesens. Insbesondere ist zu prüfen, ob für die Änderung des Geschlechtseintrages die Anforderungen an die Begutachtung abgesenkt werden können."

Da fragt sich doch der aufmerksame Zeitgenosse, ob sich die FDP einmal mit der Problematik des Gutachterverfahrens auseinandergesetzt hat und erkannt hat, dass die Existenz eines gutachterlichen Verfahrens an sich bereits eine Menschenrechtsverletzung darstellt, da hier ja gegen die geschlechtliche Selbstbestimmung verstossen wird - schliesslich entscheidet hier immer noch ein Gutachter über die rechtliche Anerkennung, so dass z.B. einer transsexuell geborenen Frau immer noch die rechtliche Existenz verwehrt werden kann, selbst dann, wenn sie bereits seit Jahren in der weiblichen Rolle lebt oder z.B. medizinische Massnahmen wie eine genitalangleichende Operation bereits hinter sich hat.

Spannend ist auch, dass die FDP bereits im Frühjahr 2008 einen Gesetzesentwurf erstellt hat, der ebenso wie in der Aussage vom 18. September zu entnehmen, immer noch am Gutachterverfahren festhalten will. In dem Entwurf heisst es:

"Abweichend von § 4 Abs. 3 TSG reicht künftig für die Vornamensänderung das Gutachten eines Sachverständigen aus. Das Verfahren zur Begutachtung ist oft der Grund, warum sich die Verfahren insgesamt in die Länge ziehen. Sollte das Gericht im konkreten Verfahren zur Entscheidung über den Antrag nach § 1 TSG weitere Informationen benötigen, ist es ihm aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes im Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit unbenommen, ein weiteres Gutachten anzufordern."

und

"Es ist zu prüfen, ob für die Änderung des Geschlechtseintrages die Anforderungen an die Begutachtung abgesenkt werden können. Insbesondere ist daran zu denken, für das Verfahren gemäß § 9 TSG die Begutachtung durch nur einen Sachverständigen vorzusehen"

(Link zum kompletten Entwurf: http://www.fdp-fraktion.de/files/538/Antrag-ReformTranssexuellengesetz.pdf)

Da nun in dem CEDAW-NGO-Bericht, welcher der UN in New York im Juli vorgelegt wurde, eindeutig und unmissverständlich darauf hingewiesen wurde, dass ein Gutachterverfahren - egal wie es ausgestaltet ist - menschenrechtlich bedenklich ist und zudem laut Ansicht der Aktivistinnen, die den NGO-Bericht erarbeitet haben, gegen mehrere internationale Vereinbarungen (im speziellen eben das CEDAW-Abkommen zu deren Umsetzung sich per Unterschrift ja auch die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat) verstösst, andererseits aber nun die FDP ja nun ihren eigenen Gesetzentwurf nicht selbst wieder in Frage stellen kann, ist es zwar verständlich, dass die FDP hier nicht auf den CEDAW-Bericht eingegangen ist, sondern lediglich ihre alten Vorschläge wiederholt, ärgerlich ist es aber trotzdem hier indirekt gesagt zu bekommen: Mit der eigentlichen Problematik des Gutachterverfahrens, der geschlechtlichen Fremdzuordnung und der damit verbundenen Entmündigung der Betroffenen, beschäftigen wir uns nicht. Eine Haltung die auch vom LSVD so vertreten wird, die den Vorschlag der FDP unterstützen (nur um es nochmal zu erwähnen, wer hier welches Interesse verfolgt).

Gespannt sein kann man schon einmal darauf, was die Linke zum CEDAW-Bericht schreiben wird. Andreas Günther von den Linken hat ja eine Antwort versprochen. Mal sehen, was das werden wird.



Anhang:

Auch spannend ist es, wenn man sich einmal anschaut, wer das Gutachterverfahren befürwortet und wer erkennt, dass es den Menschenrechten widerspricht. Bereits im Oktober 2000 hat das BMI (damals SPD) einerseits mehrere TS-Gruppen, andererseits auch die Gutachter selbst befragt (Deutscher Bundestag Drucksache 14/7835). Dass hier die Gutachter (u.a. Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung) natürlich nicht gegen ihre eigene Abschaffung waren ist klar - interessant ist aber, dass im Zusammenhang mit einer TSG-Reform die meisten Vorschläge von Gruppen transsexueller Menschen eine Abschaffung des Gutachterverfahrens fordern. Damit stellen sich die Parteien, die eine Aufrechterhaltung des Gutachterverfahrens vorschlagen (hier: Grüne 2007, FDP 2008) auf die Seite der Gutacher-Lobby und eben nicht auf die Seite der Betroffenen. Man mag sich fragen warum... wie lässt sich Lobbyismus der Psychoanalyse mit den Menschenrechten vereinbaren? In dem sich die Betroffenen klar positionieren.

Hier mal ein paar Zitate von Ideen verschiedener TS-Gruppen, die sich für eine Abschaffung des Gutachterverfahrens aussprechen:

Transmann e.V. zur Vornamensänderung nach TSG:

"Wir schlagen, auch im Hinblick auf die Schwierigkeit, die Nicht-Transgendern bei Vornamensänderungen haben, vor, dass die Namensänderung ein reiner Verwaltungsakt wird, bei dem auf Wunsch die Vornahmen geändert werden. Zur Not eben mit einem Attest, dass die Wichtigkeit der Namensänderung bestätigt, wenn es politisch nicht durchsetzbar ist, dass es allein auf Antrag geschieht."

und zu den Gutachten:

"In der Praxis führt es zu reinen Willkürentscheidungen über das Leben eines anderen Menschen. Und um die zu vermeiden, informieren sich Transgender eben über die Macken der Gutachter und erzählen diesen, was sie hören wollen. Womit allerdings der Sinn der Gutachten völlig verloren geht, weil dann nicht mehr die Transsexualität des Menschen begutachtet wird, sondern seine Schauspielkunst."

Nina Scholz, Arbeitskreis Transsexualität in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf - Ausschussdrucksache 16(4)173:

"Auf Antrag sind die Vornamen einer Person entsprechend ihrem Zugehörigkeitsempfinden zu ändern."

und zur Personenstandsänderung:

"Es werden verschiedene Wege zur Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit geboten:

1. Möglichkeit bei Antrag und ärztlichem Attest über die Operation Personenstandsänderung innerhalb von maximal 3 Wochen Bearbeitungsfrist;
2. im Übrigen auf Antrag, wenn die Vornamensänderung mindestens 2 Jahre zurückliegt."


SHG-Transidentität für Berlin & Brandenburg, Klein-Ziescht - Ausschussdrucksache 16(4)173 A:

"Problembehaftete Schwerpunkte bei der Umsetzung des TSG sind an erster Stelle ganz klar die Gutachter zu nennen. Menschen mit Transidentität sind immer wieder auf das Wohlwollen dieser Gutachter angewiesen."

"Für den Fall, dass eine gerichtliche Zuständigkeit bestehen bleibt, schlagen wir vor:

· Gutachten jeglicher Art müssen entfallen
· Das Drei-Jahres-Kriterium soll ersatzlos gestrichen werden
· Eine Vornamensänderung erfolgt unbürokratisch bei Antragstellung / Anhörung
· Grundlage wäre z.B. eine Eidesstattliche Versicherung des Antragstellers denkbar
· Kosten maximal eine Gebühr von 50.- EUR"


Transgender-Netzwerk Berlin (TGNB), Eckpunktepapier - Ausschussdrucksache 16(4)173 C:

"Der Personenstand einer Person, die sich nicht mehr dem in ihrer Geburtsurkunde angegebenen Geschlecht zugehörig fühlt, ist auf ihren Antrag vom zuständigen Standesamt zu ändern, wenn sie entweder

i) durch Vorlage eines Beratungsscheins die Inanspruchnahme einer psychosozialen Beratung zu diesem Schritt und seinen möglichen Folgen nachweisen kann,
ii) oder seit einer Namensänderung mehr als ein Jahr vergangen ist,
iii)oder wenn medizinische geschlechtsangleichende Maßnahmen durchgeführt wurden."

Der Vorschlag von Menschenrecht und Transsexualität sieht im übrigen überhaupt keine Anforderung an eine Personenstandsänderung gegeben, da ein transsexuelle Mensch schon zum Beginn einer medizinischen Behandlung - zum Zeitpunkt seiner Wahl - eine rechtliche Sicherheit bedarf, die nur mit einer Anerkennung der eigenen geschlechtlichen Existenz gegeben ist, die eben durch den Personenstand ausgedrückt wird. Trotzdem ist erkennbar, dass alle hier aufgeführten Gruppen sich klar gegen das Gutachterverfahren positionieren.
 
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