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14.02.2009
Es gibt Briefe, da bleibt einem erst einmal die Spucke weg. Einer dieser Briefe landete erst diese Tage im Briefkasten: Die Antwort des Deutschen Presserates auf die Beschwerden über die Berichterstattung einer transsexuellen Frau, die sich im Dezember in einer medialen Multiplikatorenrolle wiederfand, da sie an der RTL-Show "Dschungelcamp" teilnahm: Lorielle London. Sicher werden die Meinungen über sie geteilt sein, ist sie doch für viele eine Art Paradiesvogel, doch stellt sich die Frage: Was passiert, wenn eine transsexuelle Frau, die nun mal durch die RTL-Show in der Öffentlichkeit stand, von den Medien als "er", "Tunte" oder "Transvestit" bezeichnet wird? Welches Bild entsteht in den Köpfen der Leute über Transsexualität im Allgemeinen, wenn derart berichtet wird? Und welche Auswirkungen muss dies auf den Umgang mit transsexuellen Menschen im Allgemeinen haben? Mag da nicht der ein oder andere wieder in seinem transphoben Bild bestätigt werden, dass transsexuelle Frauen diese "verrückten Männer" sind, die lediglich so tun als wären sie Frauen?

Da nun Menschenrecht und Transsexualität und der Verein ATME e.V. die Position vertritt, dass Deutschland ein Entwicklungsland darstellt, was den Umgang mit transsexuellen Menschen und die vollständige Akzeptanz der Geschlechtsidentität angeht, also der Anerkennung, dass es Mädchen gibt, die mit Penis und Hoden geboren werden und Jungs, die mit Vagina und Gebärmutter auf die Welt kommen - was durch die Berichterstattung über das Dschungelcamp wohl wieder mal ein Stück weit bewiesen wurde - und sich hier einiges ändern muss, um eine Gleichstellung transsexuelle Menschen zu erreichen (wie z.B. eine Änderung der rechtlichen und medizinischen Standards) wurden nun mehrere Zeitungsartikel von uns angemahnt.

Der Antwort des Presserates ist nun unter anderem zu entnehmen: Transsexuelle Frauen als Transvestiten zu bezeichnen, ist "nicht herabwürdigend".

Hier Auszüge aus der, nun ja, etwas skandalösen Begründung:

"Zu E 14/09/2:
In www.derwesten.de wird unter der Überschrift "'Dschungelcamp': Es ist wieder was im Busch" über den Start des Dschungel-Camps bei RTL berichtet. Über Lorielle heißt es hier: "Dann der Transvestit Lorielle London, der einst an .Deutschland sucht den Superstar' teilnahm und sich extra den Busen aufpumpen ließ." Diese Beschreibung entspricht unserer Auffassung nach der Realität (siehe oben). Die Beschreibung ist nicht herabwürdigend und die Titulierung Lorielle Londons als Transvestit - auch wenn dieser Begriff hier vielleicht falsch gewählt sein mag - ist nicht herabwürdigend. Einen Verstoß gegen Ziffer 1 des Pressekodex können wir hier nicht erkennen.

Zu E 37/09/2:
Im Beitrag unter der Überschrift "RTL-Dschungelcamp: Eklig oder amüsant?" im HAMBURGER ABENDBLATT-Online heißt es über Lorielle: "Warum darf man denn nicht mal schmunzeln, wenn Transvestit Lorielle London (25), ehemals als Lorenzo Kandidat bei Deutschland sucht den Superstar', einen Känguru-Penis-Cocktail herunterwürgen muss?" Auch hier kann man lediglich darauf hinweisen, dass der Begriff "Transvestit" ggf. nicht korrekt wiedergegeben wurde, da Lorielle London Transsexuelle und nicht Transvestit ist, jedoch werden hier ansonsten auch nur die Fakten genannt und es ist keine Diskriminierung oder Herabwürdigung erkennbar.

Zu E 44/09/2:
In der BUNTE-Online heißt es unter der Überschrift "Kakerlaken, Tränen, Busen-Talk" über Lorielle: "Sie [Gundis Zambö] fragt den Transvestiten Lorielle, der die Lippen schürzt [...]: ,Du magst meine Brüste, nicht wahr?'" Die Zwischenüberschrift lautet hier: "Einen Transvestiten gab es noch nie". Auch der vorliegende Fall ist wieder vorherige zu begründen."

Der Download des kompletten Textes des Presserates: Hier .

Sicher, man kann auch sagen eine Birne Apfel zu nennen wäre für die Birne nicht herabwürdigend. Abgesehen davon, dass die Birne uns das nicht mitteilen kann, wie sie sich dabei fühlen würde, würde aber spätestens der Supermarktkunde, der nach dem Einkauf einen grossen Schluck vermeintlichen Apfelsaftes genommen hätte, sich doch sehr über den seltsamen Geschmack wundern. Vielleicht war das ein seltsames Beispiel, sicher ist aber, dass die Fehldarstellung transsexueller Frauen, nämlich indem man sie als "Mann" bezeichnet - eben in diesem Fall Transvestit - zu ähnlicher Unsicherheit und Unverständnis führt, ist es doch um einiges seltsamer sich zu fragen, warum ein Mann gerne "Frau wäre", anstatt einfach nur zu akzeptieren, dass dieser vermeintliche Mann in Wirklichkeit als Frau geboren wurde, wenn auch mit Penis und Hoden. Wenn man weiss, dass gerade die geschlechtliche Fehlzuordnung transsexueller Frauen, eben die Behauptung sie wären "Männer mit dem Wunsch Frau zu werden", zu so menschenverachtenden Auswüchsen führt, wie die Theorie, diese Menschen hätten eine Identitätsstörung, obwohl sie lediglich sind, was sie sind, und ebenso weiss, dass diese Fehlzuordnung heute noch zu sozialen Ausgrenzungen führt, dann bleibt nach den Ausführungen des Presserates ein schaler Geschmack übrig. Haben nicht die Medien gerade die Aufgabe hier aufzuklären, anstatt Geschlechterklischees zu verbreiten? Man kann sich darüber streiten, ob der Fall Lorielle London der richtige Ansatzpunkt ist, hier mehr Objektivität zu verlangen - ich denke aber, gerade dort wo das Interesse der Medienkosumenten so gross ist, wie das eben bei Boulevardberichterstattungen der Fall ist, müssten Fehldarstellungen besonders kritisch betrachtet und angemahnt werden.

Interessanterweise hat der Deutsche Presserat nach einem Telefonat diese Notwendigkeit ein Stück weit eingeräumt, so dass uns der Hinweis gegeben wurde, hier die Beschwerde nocheinmal zu stellen. Mal sehen, was daraus wird.

Hier einmal offizielle O-Töne des Telefonates mit Ella Wassink, das als Interview gehalten wurde:

O-Töne Ella Wassink, Deutscher Presserat

Interessant ist auch, dass die Fehldarstellungen über transsexuelle Menschen von der Bundesregierung so nicht wahrgenommen werden, glaubte die deutsche Delegation ja noch im Prozess der Berichterstattung zum internationalen Frauenrechtsabkommen CEDAW Anfang Februar in Genf, dass die Medien ihren Job in Deutschland gut machen.

Dazu einmal der Original-Text von Eva-Maria Welskop-Deffaa (BRD, BMFSJF) bei der Sitzung Anfang Februar in Genf:

"Wir stellen fest, dass dies ein Thema ist, das in den letzten Jahren ein neue öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat in Deutschland. Wenn sie in die Tageszeitung etwa reinschauen, stellen sie fest, dass in einer ganz anderen Art und Weise über die Biografien von Transsexuellen berichtet wird, als noch vor 10 oder 12 Jahren. Es ist nicht mehr ein Blick auf etwas Abnormes, sondern es ist ein Blick auf Lebensschicksale, die natürlich eine besondere Herausforderung darstellen, weil es eine Gruppe ist, die rein zahlenmässig nicht so gross ist, wie es bei anderen Menschen der Fall ist und da braucht es immer eine Weile, bis man die Besonderheiten erkennt."

Die Berichterstattung über Lorielle London kann sie hier nicht gemeint haben. Möglich ist, dass Frau Eva-Maria Welskop-Deffaa an die zahlreichen Lebensschicksalsberichte über transsexuelle Menschen denkt, die tatsächlich in den letzten Monaten verstärkt in Zeitungen auftauchen, doch auch hier heisst es in 90 Prozent aller Fälle, dass z.B. transsexuelle Frauen "früher Männer" gewesen wären, die sich auf Grund einer "Geschlechtsidentitätsstörung" einer "Geschlechtsumwandlung" unterziehen.

Ein Beispiel:

"Sie fühlen sich im falschen Körper gefangen: Transsexuelle. Männer, die lieber eine Frau wären und Frauen, die sich als Mann empfinden. Transsexualität ist eine sogenannte ‚Geschlechtsidentitätsstörung'. Die Betroffenen wünschen sich oft schon von frühester Kindheit an, dem jeweils anderen Geschlecht anzugehören."
(aus der Ankündigung einer stern-TV-Reportage von Arndt Krieger und Hilmer Rolff)

Dass es "Geschlechtsumwandlungen" ebenso wenig gibt, wird hier aber in den meisten Berichten ebenso unbeachtet gelassen, wie die Kritik an dem Begriff "Geschlechtsidentitätsstörung", einer Störung, deren Existenz äusserts fragwürdig ist, wenn man sich einmal mit der Diversität von biologischem Geschlecht auseinandersetzt und beachtet, dass sich nicht alle geschlechtlichen Merkmale eines Menschen immer in Reih' und Glied entwickeln müssen, sondern geschlechtliche Abweichungen bestimmter Organe keine Seltenheit sind. Dort wo nämlich nicht hinterfragt wird, ob ein Mensch, der einen Penis besitzt immer ein Junge sein muss, sondern hier Abweichungen möglich sind, kann eine derartige Berichterstattung nicht mehr für die Rechte transsexueller Menschen bewirken, wie Zeitungsartikel in denen Lorielle London als Transvestit bezeichnet wird. Die Logik die dahinter steht, nämlich der Fehlannahme Geschlecht wäre ausschliesslich über die Anwesenheit oder Abwesenheit eines Penis zu definieren ist in beiden Fällen die selbe. Sie ist eine Pseudologik, welche die biologischen Tatsachen ignoriert - im Sinne derer, die mit dem Begriff "Geschlechtsidentitätsstörung" ihre Machtpositionen ausgebaut haben und bislang immer noch mit der geschlechtlichen Fehlzuordnung, deren Fortbestand sie selbst mitzuverantworten haben, ihr schmutziges Geld verdienen; auf Kosten der Menschenrechte.

So wird es doch Zeit, dass die Bundesregierung folgenden Abschnitt ernst nimmt:

"The Committee notes with satisfaction the cooperation of the State party with civil society organizations, particularly women's organizations, which is mostly achieved through government cooperation with such organizations on specific programmes and projects. The Committee regrets, however, that the call for dialogue by non-governmental organizations of intersexual and transsexual people has not been favourably entertained by the State party. The Committee request the State party to enter into dialogue with nongovernmental organizations of intersexual and transsexual people in order to better understand their claims and to take effective action to protect their human rights."
(http://www2.ohchr.org/english/bodies/cedaw/docs/co/CEDAW-C-DEU-CO6.pdf )

Dies ist eine aktuelle Aussage des CEDAW-Ausschusses (als Reaktion auf den Bericht von Menschenrecht und Transsexualität bzw. ATME e.V. und den Vereinen Intersexuelle Menschen e.V. bzw. xy-Frauen), der das deutsche Transsexuellengesetz als paradox bezeichnet hat und nicht verstehen konnte, warum sich in Deutschland eine transsexuelle Frau per Diagnose zu einem "geschlechtsidentitätsgestörten Mann" erklären lassen muss, um damit rechtlich als Frau anerkannt zu werden. Mal sehen, ob die Bundesregierung den Ausschuss und die Kritik am TSG ernst nehmen wird. Ich bin da im Augenblick noch skeptisch - aber vielleicht müssen sich auch einfach mehr transsexuelle Frauen öffentlich gegen die Diskriminierungen, eben auch der Medien, wehren.

Apropos wehren. Ursprünglich wollte ich hier ja einen Text posten, der die Situation in der Schweiz beleuchtet - einen persönlichen Erfahrungsbericht einer transsexuellen Frau. Nun hänge ich ihn hier an diesem Text an, als ungekürzten Download. Der Inhalt passt insofern zu dem Text über die Mediensituation in Deutschland, als dass er auch auf die Theorien der Personen aus der Sexualwissenschaft in Deutschland eingeht, die bislang in Deutschland von den Medien unkritisch übernommen wurden. So gesehen, passt das wieder mal ganz gut - vorallem weil hier wieder einmal Schlüsselnamen darin auftauchen. Er ist ebenso ein Beispiel für die Gewalt an transsexuellen Frauen - die, und liebe Transmänner, nehmt mir das nicht übel - fast ausschliesslich von Männern bzw. Jungs ausgeübt wird.

Der Text zum Download

Übrigens, liebe Schweizer, auch die Schweiz hat das CEDAW-Abkommen unterzeichnet. Die Prüfung ist in ein paar Monaten; das Komittee hat sich auch schon bei Deutschland als sehr hilfreich für die Situation transsexueller Frauen gezeigt. Nur mal so als Wink mit dem Zaunpfahl, falls ihr noch einen Bericht schreiben wollt...

Zu CEDAW Schweiz

Weitere Missbrauchsfälle, hier: Klick.

oder da: Klack.

Anhang:

Heute ging zu dem Artikel ein Kommentar von "TM_Kai" ein. Ich poste ihn mal:

Diese Aussage ist ohne Frage sicherlich vollkommen korrekt. Doch auch die Frauen können sich da ihre Hände nicht in Unschuld waschen. Ich als Transmann war - ganz ähnlich dem von Maria geschilderten Terror-  jahrelang den schlimmsten "Mißhandlungen" durch Frauen und Mädchen ausgeliefert. Jedoch mit dem Unterschied, dass die "Gewalt\ in diesem Fall sich nicht in körperlichen Angriffen äußerte, sondern in extremer psychischer Gewalt. Eine Art Gewalt, die einer körperlichen Gewalt im Hinblick auf die psychischen Auswirkungen leider in nichts nachsteht.

Kai, danke für den Kommentar. Ich denke wir alle, egal welchem Geschlecht wir angehören, haben noch viel zu lernen.
 
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