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06.05.2009
Es gibt Worte, bei denen es sich lohnt, darüber nachzudenken, für welche Ideologien sie stehen. Eines dieser Worte ist "Geschlechtsumwandlung". Es impliziert, dass das Geschlecht eines Menschen gewandelt werden kann - sei es durch eine genitale Operation oder aber durch das Erziehen in einer bestimmten, der "anderen" Geschlechtsrolle. Beides ist meiner Ansicht nach nicht möglich, da ein Mensch ist, was er ist und es vielmehr wichtig wäre, einen Menschen genau als das zu akzeptieren (die Selbstakzeptanz eingeschlossen): Als Mensch mit einem Selbst. Einem Menschen dieses Selbst abzusprechen, in zu etwas zu erklären, was er nicht ist, ist unfein. Beispielsweise zu behaupten, eine transsexuelle Frau wäre ohne oder vor eine Genitaloperation noch ein Mann ist genauso dumm und diskriminierend, wie die Unterstellung eine transsexuelle Frau wäre ein biologischer Mann, der sich "fühlt" wie eine Frau und deswegen die Geschlechtsrolle einer Frau lebt. In beidem zeigt sich mangelnder Respekt vor dem Geschlecht transsexueller Menschen. Gerade da auch viele Betroffene scheinbar diesen mangelnden Respekt gegenüber sich selbst haben, wäre Halt und Hilfe von Aussen wichtig, am Besten bei den Stellen, bei denen es um die Diskriminierung von Menschen geht: Z.B. auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Was aber, wenn bei der Antidiskriminierungsstelle selbst transphobe Ideologien durchschimmern? Am 2. April 2009 wurde Band 4 der Schriftenreihe der Antidiskriminierungsstelle, die Sinus-Milieu-Studie "Diskriminierung im Alltag", der Öffentlichkeit vorgestellt. In der Studie, die nebenbei bemerkt Zahlen enthielt, nach denen 71 Prozent der Deutschen meinten, man müsste für transsexuelle Menschen nichts tun (gefühlt würde ich den Prozentwert, so erschreckend er ist, dennoch weitaus höher ansetzen), wurden in den einzelnen Befragungen transsexuelle Menschen als Menschen dargestellt, die ihr "Geschlecht wechseln" und eben durchweg der Begriff "Geschlechtsumwandlung" benutzt. Da er ein problematischer Begriff ist, hatte ich die Antidiskriminierungsstelle um eine Erklärung gebeten.

Hier einmal zum Lesen:

Sehr geehrte Frau Schicklang,

vielen Dank für Ihre Mail.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat das Institut Sinus Sociovision mit dem Erstellen einer Sinus Milieustudie beauftragt. Sie kritisieren den Gebrauch des Wortes "Geschlechtsumwandlung" in der Studie. Dieses Wort wird von Sinus Sociovision in den Fragen verwendet, bei denen die  Befragten den Begriff  der Transsexualität nicht verstanden haben. Zudem wird in einer Frage formuliert: "Transsexuelle, die ihr Geschlecht umwandeln wollen oder dies umgewandelt haben".

Wenn ich Sie richtig verstehe, kritisieren Sie an der Verwendung des Wortes "Geschlechtsumwandlung", dass mit diesem  Wort von der Natürlichkeit einer zweigeschlechtlichen Ordnung ausgegangen wird. Sie schreiben, dass dieser Begriff die "geschlechtliche Existenz transsexueller Menschen " leugnet. Sie schreiben weiter, dass der Begriff impliziert, "dass z.B. eine transsexuelle Frau ein Mann gewesen wäre" und führen weiter aus, dass das Geschlecht sich keineswegs allein an den Genitalien von Personen festmachen lässt.

Zunächst möchte ich mich bei Ihnen für den Hinweis bedanken, dass das Wort Geschlechtsumwandlung derartige Konnotationen enthält. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist sich der Sensibilität des Themas Trans- und Intersexualität bewusst und hat sich daher auch entschieden, anders als in der Gesetzesbegründung zum AGG vorgesehen, die Trans- und Intersexualität dem Merkmal "Geschlecht" und nicht dem Merkmal "sexuelle Identität" zuzuordnen. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht es also nicht darum, eine natürliche Zweigeschlechtlichkeit festschreiben zu wollen bzw. Identitäten jenseits dieser zu leugnen.Menschen werden bereits bei ihrer Geburt einem von zwei möglichen Geschlechtern zugeordnet und können später diese Zuordnung ändern wollen. Um in einem anderen Geschlecht als in dem ihnen bei ihrer Geburt zugewiesenen offiziell leben zu können, müssen sie bestimmte Veränderungen vornehmen, diesen Vorgang haben die Verfasser der Studie als "Geschlechtsumwandlung" bezeichnet. Mit diesem Begriff  sollte in der o.g. Studie ein komplexer Sachverhalt kurz gefasst werden. Ein solches Vorgehen, Sachverhalte verkürzt darzustellen, um Menschen, die nicht in ausgewählte Themen eingebunden sind dennoch befragen zu können, ist ein übliches Vorgehen beim Erstellen von Studien.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes möchte Menschen, die sich als transsexuell definieren, vor Diskriminierungen schützen. In der von Ihnen erwähnten Studie geht es vor allem darum, mehr darüber zu erfahren, welche Wahrnehmungen und Einstellungen gegenüber transsexuellen Menschen vertreten werden. Hinzu kommt, dass Anfragen und Studien, die die ADS erreichen, auf ein erschreckend hohes Maß an Diskriminierungen gegenüber transsexuellen Menschen verweisen, denen entschieden begegnet werden muss.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Position der ADS ein wenig näher bringen.

Mit freundlichen Grüßen
Antje Goll

Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Referat Öffentlichkeitsarbeit und
Verwaltungsangelegenheiten
Alexanderstr. 1
10178 Berlin
www.antidiskriminierungsstelle.de


Antwort von mut23.de:

Sehr geehrte Frau Goll,

vielen Dank für Ihre Mail. Sie schreiben, dass das Wort "Geschlechtsumwandlung" gerade da verwendet wird, wo Menschen den Begriff "Transsexualität" nicht verstanden haben und verweisen später u.a. auf das juristische Geschlecht des Menschen ("später diese Zuordnung ändern wollen"). Dieser Sachverhalt ist ja genau der verwirrende und trägt meiner Meinung nach nicht zum Verständnis über transsexuelle Menschen bei. Juristische Geschlechtszuordnungen müssen nicht mit der Biologie des Menschen übereinstimmen. Ich möchte hier nicht die grundsätzliche Einteilung der Menschen in Frage stellen und gehe davon aus, dass die natürliche Geschlechterordnung tatsächlich zwei Polaritäten kennt. Diese Polaritäten sind aber im Detail eben differenziert zu betrachten, da Menschen auch im biologischen Sinne nicht in all ihren biologischen Facetten immer nur "weibliche" oder "männliche" Anteile enthalten, manchmal ist es sogar möglich, dass hier bei der Geschlechtsdifferenzierung (bereits vor der Geburt, in der 7. Schwangerschaftswoche) Uneindeutigkeiten oder sogar "Vetrauschungen" stattfinden, die dazu führen können, dass Menschen geboren werden, bei denen nicht alle biologischen Anteile auf "einer Seite" liegen müssen. So existieren Menschen, die mit weiblichen Genitalien und männlichen Chromosomensatz geboren werden, Menschen, die weibliche Ausprägungen von Kernarealen des Gehirns aufweisen, obwohl ihre Hormonwerte sich männlich entwickeln, es gibt Menschen, die eine Abweichung vom xx- oder xy-Chromosomensatz aufweisen usw.

All diese Besonderheiten sind biologisch und in der Realität existent - unabhängig der rechtlichen Zuordnung. Leider werden nun bis heute - auch in der deutschen medizinischen und juristischen Praxis - diese biologsichen Tatsachen nicht, oder nur äusserst unzureichend, beachtet und davon ausgegangen, dass Menschen, welche geschlechtliche Besonderheiten aufweisen von Aussen einem, meist genitalen, Geschlecht zugeordnet werden müssen. Die Rechtssprechung geht bis heute (eine Reform der Gesetze wie z.B. dem Transsexuellengesetz gibt es trotz Mahnungen des Bundesverfassungsgerichtes bis heute nicht) davon aus, dass die Genitalien eines Menschen geschlechtsbestimmend sind und sich sein juristisches Geschlecht nach dem zu richten hat, was dieser Mensch zwischen seinen Beinen hat.

Zwei Menschengruppen leiden bis heute darunter:

a) die Intersexuellen Menschen, die mit uneindeutigen Genitalien geboren werden

Intersexuelle Menschen, die mit uneindeutigen Genitalien geboren werden, werden bis heute (oft bereits nach der Geburt) genital zwangszugeordnet, in dem man ihnen ein "eindeutiges" Genital verpasst. Zusätzlich wird davon ausgegangen, basierend auf Theorien aus der Psychoanalyse, dass sich das Geschlecht eines Menschen anerziehen lässt (Dies geht u.a. auf Theorien eines Sexologen namens John Money zurück, der meinte man müsse ein Kind nur eindeutige Genitalien geben, dann könnte man dieses Kind ein Geschlecht anerziehen). Diese Theorien sind immer noch aktuelle Richtlinien, die z.B. im DSM (dem Manual der psychischen Störungen) wiedergegeben werden und auch in Deutschland so von vielen Sexologen so vertreten werden.

b) die transsexuellen Menschen, die mit Genitalien geboren werden, die ihrem eigentlichen Geburtsgeschlecht gegenüber stehen

Transsexuelle Frauen weisen z.B., vereinfacht ausgedrückt, ein weibliches Gehirn auf (viele Studien weisen darauf hin, dass dies ebenso mit der Geschlechtsdiffernzierung in der 7. Schwangerschaftswoche zu tun hat - eine aktuelle stammt vom Prince Henrys Institute in Australien und aus dem Jhar 2008) - was sich in der Psyche äussert - haben aber männliche Genitalien. Diesen Frauen wird bis heute, wieder davon ausgehend die Genitalien wären der einzige Indikator für das Geburtsgeschlecht eines Menschen, unterstellt sie wären als Jungs geboren, würden sich aber eine "Geschlechtsumwandlung" wünschen. Was dabei vergessen wird ist eben wiederum die Biologie und das Wissen darum, dass eben die Genitalien eben nicht der einzige Indikator für das Geburtsgeschlecht eines Menschen sind und es sich in Wirklichkeit um den Wunsch einer "Genitalkorrektur" handelt und nicht um den Wunsch einer "Geschlechtsumwandlung".

Jeder Mensch hat von Geburt an ein Geschlecht. Über dieses Geschlecht kann kein Mensch verfügen. Daher gehört es meiner Ansicht nach zu einem der grössten Fehler im Umgang sowohl mit Intersexualität als auch mit Transsexualität hier von der Wandelbarkeit der Geschlechter zu sprechen (basierend auf Theorien einiger Sexologen) und Begriffe wie "Geschlechtsumwandlung" zu verwenden. Dieser Begriff impliziert, Geschlecht wäre veränderbar - durch Operationen, welche die Genitalien eines Menschen verändern. Diese Geschlechtsumwandlungsbehauptung führt zu einem Bild über Geschlecht, unter dem sowohl intersexuelle als auch transsexuelle Menschen direkt zu leiden haben. Bei intersexuellen Menschen führt es zu genitalien Verstümmelungen und bei transsexuellen zu psychischen Missbräuchen, indem man ihnen ihr eigentliches Geburtsgeschlecht abspricht, und so tut, als wären sie das Gegenteil von dem, was sie sind um ihnen damit eine Identitätsstörung "Geschlechtsidentitätsstörung" zu unterstellen, die sie nie hatten.

Sie sehen also: Die Grausamkeiten gegenüber Menschen mit geschlechtlichen Abweichungen hat in ziemlich direkter Weise etwas mit Sprache und den verwendeten Begriffen zu tun. Bestimmte Begriffe stehen für bestimmte Ideologien - In Deutschland eben für die Ideologie, das Vorhandensein oder Fehlen eines Penis würde die Einteilung in ein Mann/Frau-Schema ermöglichen - ganz entgegen der biologischen Realitäten. Der Begriff "Geschlechtsumwandlung" kann also in meinen Augen nicht verschönert werden, indem man ihn mit schönen Erklärungen verziert, da er direkt einer Ideologie entstammt, die heute noch zu medizinischen Verbrechen führt (genitale Zwangszuweisungen und psychischer Missbrauch), welche einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig ist. Es sind Verbrechen, die es wert sind, dass sie von einer Antidiskriminierungsstelle als solche erkannt und bekämpft werden.

Vielen Dank,

Kim Anja Schicklang
1. Vorsitzende
Aktion Transsexualität und Menschenrecht e.V.


Link zur Studie:

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