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Die Vereinnahmung transsexueller Menschen
Lange Zeit war mir nicht klar, an was das liegt, dass transsexuelle Menschen ausgerechnet unter Weltvorstellungen einer Sexologie zu leiden haben, die zu grossen Teilen selbst von einer geschlechtlichen Minderheit angeführt wird: Den Homosexuellen. Mittlerweile sehe ich ein wenig klarer, warum das so ist. Es liegt wohl mit an der historischen Verleugnung eines sogenannten "gegengeschlechtlichen Verhaltens", dem Kompriss, den viele Schwule und Lesben einst eingegangen waren, um zu gesellschaftlicher Anerkennung zu kommen.  Sylvia Rivera, die selbst als 17-jährige in New York den Stonewall Riot aktiv miterlebt hatte sagte dazu:

"Die Community hatte nicht vor, uns zu helfen. Sie war peinlich von den Tunten berührt, weil die Heterogesellschaft der Ansicht ist: 'Ein Schwuler kleidet sich im Fummel oder ist weibisch.' Aber du mußt sein, wer du bist. Als hetero durchgehen, ist, wie wenn eine hellhäutige schwarze Frau oder ein Mann als weiß durchgeht. Ich möchte nicht als jemand anders durchgehen. Ich hätte das nicht geschafft, nicht in diesem Leben. [...] In Wirklichkeit waren es nicht einmal die Männer, die die Drag Queens an den Rand drückten. Es waren die schwulen Frauen von dieser radikalen Gruppe [Lesbian Feminist Liberation]. Eine von ihnen war Jean O'Leary."
(Quelle: gigi-x-berg)

Gender-Atypical Behaviour nannten die Sexologen-Päpste der 70er einst irgendwann einmal selbst , wenn ein Mensch sich nicht den herrschenden Geschlechterrollen anpassen will - das Problem dabei ist, dass sie damit transsexuelle Menschen in die Schublade steckten, in die sie selbst nicht gesteckt werden wollten.

Karl Heinrich Ulrichs, der 1825 in Ostfriesland geboren wurde, war laut Literatur einer der Vorkämpfer der Homosexuellenbewegung und brachte den Begriff "Urninge" ins Spiel, um damit ein "drittes Geschlecht" zu beschreiben. 1899 erschien im sogenannten "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen", das vom wissenschaftlich-humanitären Comitee herausgegeben wurde, nach seinem Tod ein Briefwechsel zwischen Ulrichs und einer seiner Schwestern. So schreibt er am 28. November 1862 über den "Urning":

"Ihm ist vielmehr ausserdem auch noch ein sogen. weiblicher Habitus eigen, von Kindesbeinen an, der sich dokumentiert in Hang zu mädchenhaften Beschäftigungen, in Scheu vor den Beschäftigungen, Spielen, Raufereien, Schneeball- werfen der Knaben, in Manieren, in Gesten, in einer gewissen Weichheit des Charakters
[...]
Weiber in männlich gestalteten Körpern."

(Vergleiche auch: Ausführungen "gender identity disorder in childhood" im DSM IV bzw. in den Drafts zum DSM V)

Magnus Hirschfeld, der nach der Jahrhundertwende in Berlin ein sexualwissenschaftliches Institut errichtete und auch homosexuell war, war stark inspiriert von den Ideen Ulrichs, wenngleich er anfing zwischen Menschen zu unterscheiden, die, "gleich aus welchen Gründen, freiwillig Kleidung tragen, die üblicherweise von dem Geschlecht, dem sie körperlich zugeordnet sind, nicht getragen werden", die er Transvestiten nannte (heutige Entsprechung laut wikipedia: Transgender) und Transsexuellen. "Seelischen Transsexualismus" verstand er als Entgegengeschlechtlichkeit und verwendete diesen Begriff 1923 erstmals für Menschen, die angaben, sie seien mit den falschen körperlichen Geschlechtsmerkmalen geboren worden, in seinem Aufsatz "die intersexuelle Konstitution" (Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen 23).

Das "schwule Jugendmagazin dbna" schreibt auf seiner Website über die homosexuelle Bewegung der 20er-Jahre in Deutschland, dass zwar in Bars und Lokalen in Berlin damals Auftritte von "Transvestiten" zu dem damaligen Berlin wie heute die "gute Flasche Wein zu Alfred Biolek" gehörten, aber dennoch oft geächtet wurden:

"schliesslich wollte man sich als «normal» präsentieren und auf gar keinen Fall «weibisch» wirken."

1931 veröffentlichte der Schriftsteller Konrad Haemmerling (bekannt unter anderem als "Curt Moreck") einen "Führer durch das lasterhafte Berlin" und erwähnte in diesem Buch folgendes:

"Eine der entzückendsten und elegantesten Frauen, die im ganzen Saale anwesend sind, ist oft der zierliche Bob, und es gibt Männer genug, die in der Tiefe ihres Herzens bedauern, daß er kein Mädchen ist, daß die Natur sie durch einen Irrtum um eine deliziöse Geliebte betrogen hat."

Während der Nazizeit landeten viele Homosexuelle ebenso in den KZs wie auch transsexuelle Menschen. Die Nationalsozialisten unterschieden nicht zwischen den verschiedenen Gruppen, sondern transsexuelle Menschen wurden der Gruppe der "Transvestiten" zugerechnet (und alles in einen Topf geworfen). 1938 gab es die Empfehlung des Institutes für forensische Medizin (Quelle tdor), dass das "Phänomen des Transvestismus" aus "dem öffentlichen Leben getilgt" werden müsse und dazu "drakonische Massnahmen der Regierung" angebracht wären.

Der Historiker Olaf Mußmann zitiert in einem Gedenkstättenrundbrief (81 S. 37-41) aus einem Vortrag von Jürgen Müller:

"In der Regel seien exponierte, in der Öffentlichkeit wahrnehmbare oder mehrfach verurteilte Homosexuelle in die KZ eingewiesen worden. Unauffällig lebende Homosexuelle waren in nur geringem Maße von Einweisungen betroffen."

Der berüchtigten Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe stellte und in der Zeit des Nationalsozialismus noch verschärft worden war, existierte auch nach dem offiziellen Ende der braunen Jahre weiter, in etwas "abgemildeterer" Form bis 1994. Einer dieser Entschärfungen fand im Jahre 1969 statt. Dazu schrieb das Nachrichtenmagazin der Spiegel damals:

"Nach wie vor beharren fast alle Mediziner, Psychiater und Psychologen, die einer der psychoanalytischen Schulen nahestehen, auf dem Standpunkt, Homosexualität sei primär eine während der frühkindlichen Phase erworbene Eigenschaft - entweder eine Entwicklungshemmung oder etwa durch eine besondere elterliche Konstellation '"böse, kalte Mutter - guter, weicher Vater') hervorgerufen. Freilich gestehen auch die Tiefenpsychologen ein, daß angeborene Veranlagung dabei im Spiel sein könne.

Demgegenüber versteht eine andere, die sogenannte biogenetische Schule homosexuelle Veranlagung weitgehend als ein angeborenes Merkmal. Umweltfaktoren sind danach nur auslösendes Moment der Triebentwicklung. Für diese Annahme lassen sich in der Tat eindrucksvolle Forschungsergebnisse beibringen. Eine Untersuchung an 44 eineiigen Zwillingen (von denen viele getrennt aufwuchsen) ergab, daß alle Zwillingspaare in genau gleichem Maße homosexuelle oder heterosexuelle Neigungen zeigten (31 waren homo-, 13 bisexuell veranlagt)."

(Vergleiche dazu auch: Aufsatz von Sophinette Becker in "Sexuelle Identitäten", Thieme Verlag 2009)

In den Jahren der sogenannten "sexuellen Revolution" schafften es homosexuelle Menschen langsam, nicht mehr gesellschaftliche Aussenseiter zu sein, sondern wurden nach und nach in der bürgerlichen Mitte aufgenommen. Dass dazu manch Kompromiss nötig war, sollte sich später zeigen. Einer davon findet sich in eben dem Spiegel-Artikel (Ausgabe 20) aus dem Jahr 1969:

"Im Bewußtsein der Öffentlichkeit am ehesten gegenwärtig ist die Gruppe der betriebsamen Homosexuellen, deren betont auffälliges Verhalten oft von exhibitionistischen Neigungen mitbestimmt ist, oft aber auch, wie der Berliner Sexualforscher Hubert Bacia formuliert, eher 'als Karikatur' zu werten ist, die 'den Protest gegen die angenommene Rolle ausdrückt'."

Feminines Verhalten homosexueller Männer wurde auch damals ebenso wie in den 20ern in Clubs und Bars geduldet, doch in der Öffentlichkeit gemieden. Im Gegensatz zu homosexuellen Männern, die sich ab und an dem "Drag" hingeben, sah es in den 70ern plötzlich schlecht für transsexuelle Menschen aus. In der Nazizeit waren diese ja der Gruppe homosexueller Menschen zugerechnet, und man sollte meinen, dass die wilden 70er hier auch eine positive gesellschaftliche Veränderung für transsexuelle Menschen geben sollte. Doch schon folgte das nächste Denkste.

Auf Grund grosser Proteste damaliger Schwulen- und Lesbenorganisationen, wurde 1973 "Homosexualität" aus dem DSM, dem internationalen Buch der psychischen Störungen gestrichen - oder, um ganz genau zu sein: Angepasste Homosexualität, denn kurz darauf wurde nämlich der Begriff "gender identity disorder" in den DSM eingeführt. Geschlechtsrollen-untypisches Verhalten psychopathologisiert, Transvestiten und Transsexuelle von der Emanzipationsbewegung schwuler und lesbischer Menschen ausgeschlossen. Sylvia Rivera, trans-Aktivistin aus New York, die selbst den Stone-Wall-Riot (also den Aufstand gegen Polizeigewalt , an den heute noch auch die zahlreichen CSDs in vielen Städten Deutschlands erinnern) aktiv miterlebt hatte und selbst damalige Schwulenorganisationen mitgegründet hatte, bezeichnete dies später als den "Verrat".

In Deutschland war in dieser Zeit der homosexuelle Psychoanalytiker Volkmar Sigusch, der bis ins Jahr 2006 hinein das Frankfürter Institut für Sexualwissenschaft leitete, unterdessen stark involviert darin, die Politik von einem "Transsexuellengesetz" zu überzeugen, das dann tatsächlich 1980 in Deutschland verabschiedet wurde, im selben Jahr in dem dann "Geschlechtsidentitätsstörungen" im DSM auftauchten.

Sinngemäss galt seit dieser Zeit in Deutschland folgendes Recht: (siehe TSG und SoC) Wenn du als Frau leben willst, dann musst Du dich kastrieren lassen (Sigusch spricht von "Geschlechtsumwandlungen") und auch richtig konsequent die weibliche Frauenrolle erfüllen.

"Diagnostisch von entscheidender Bedeutung sind jedoch nicht irgendwelche Leitsymptome, sondern einerseits der so genannte Alltagstest der Betroffenen, also das Leben in der intendierten Geschlechtsrolle über eine längere Zeit, und andererseits die emotionale Gewissheit des Therapeuten, die sich unwillkürlich im Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen einstellt: 'Das ist eine Frau' bzw. 'Das ist ein Mann'. "
(Sigusch in: Sexuelle Störungen und ihre Behandlung, Thieme Verlag)

Dass es sich bei transsexuellen Frauen um Frauen und bei transsexuellen Männern um Männer handelt, das wird in der Tat bis heute nicht anerkannt. Selbst im Jahr 2010 gelten beispielsweise transsexuelle Frauen immer noch als "(biologische) Männer, die in der Frauenrolle leben wollen" und werden keinesfalls als in der Natur vorkommenden geschlechtliche Variante betrachtet.

Eigentlich wollte ich ja ausführen, was ich für den Grund dafür halte, warum die Existenz transsexueller Frauen und Männer bis heute geleugnet wird: Es scheint mir u.a. die Angst homosexueller Männer vor der eigenen femininen Seite zu sein, die ja quasi seit je her in die Clubs und Bars verbannt wurde. Und wenn ein Mann feminin sein will, dann soll er sich doch bitte "umoperieren" lassen und "als Frau" leben. Auch feministische Lesben - also das, was Sylvia Rivera in den 70ern beobachtet hatte - haben selbst heute noch oft Probleme eine transsexuelle Frau als Frau anzuerkennen.

Transsexuelle Menschen kommen in diesem Spiel per se überhaupt nicht vor, da beispielsweise transsexuelle Frauen für die heutige Sexologie ja als "Männer mit dem Wunsch nach Geschlechtsumwandlung" gelten. Zwar glauben viele transsexuelle Menschen, dass es um sie ginge, wenn ihnen ein Sexologe Hormone verschreibt oder genitale Operationen ermöglicht - in Wirklichkeit ist das, über was sich transsexuelle Menschen freuen meist nichts weiter als ein Abfallprodukt eines auf sich selbst bezogenen psychischen Prozesses homosexueller Menschen, die immer noch darunter Leiden in einer homophoben Welt zu leben.

Genau aus diesem Grunde ist es meiner Ansicht nach nötig, sich als transsexueller Mensch zu emanzipieren. Denn wenn es möglich ist, dass transsexuelle Menschen als sie selbst wahrgenommen werden und auch rechtlich als sie selbst akzeptiert werden, dann ist es auch möglich, homosexuellen Menschen dabei zu helfen, gesellschaftlich nicht nur in der Hülle "hetereosexueller Verhaltensweisen" anerkannt zu sein, sondern eben vollständig und in der vollen Bandbreite. Nichts desto trotz ist es dafür aber umso wichtiger, dafür zu kämpfen, dass endlich anerkannt wird, dass transsexuelle Menschen überhaupt existieren. Und dazu ist es nötig, dass in erster Linie transsexuelle Menschen für ihre Rechte eintreten und sich nicht länger von homosexuellen Menschen als "Männer in Frauenkleidern" oder "Frauen, die in der Männerrolle leben wollen" bezeichnen lassen.

Es liegt an uns selbst, die Zeit der Vereinnahmungen und der Fremdzuordnungen zu beenden.
Vielfalt zu akzpetieren, heisst Vielfalt zu anzuerkennen.

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