Alternativbericht
Zum Sechsten Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum
Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
von: Menschenrecht und Transsexualität (Interessensgemeinschaft)
englische Version:
CEDAW Alternative report (pdf)
"daß alle Menschen frei und an Würde und Rechten gleich geboren sind und daß jeder ohne irgendeinen Unterschied, einschließlich eines Unterschieds aufgrund des Geschlechts, Anspruch hat auf alle in der genannten Erklärung aufgeführten Rechte und Freiheiten"(1)
Zur Situation transsexueller Frauen in Deutschland
1. Grundproblematik
Bereits im Jahr 1979 ist im Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau nachzulesen, dass
"die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte den Grundsatz der Unzulässigkeit der Diskriminierung bekräftigt und feierlich feststellt, daß alle Menschen frei und an Würde und Rechten gleich geboren sind und daß jeder ohne irgendeinen Unterschied, einschließlich eines Unterschieds aufgrund des Geschlechts".
Somit wird in diesem Jahr die vor- bzw. überstaatliche Natur der Menschenrechte bestätigt und insbesondere im Zusammenhang der Gleichstellung der Geschlechter darauf hingewiesen, dass die Vetragsstaaten übereinkommen "mit allen geeigneten Mitteln unverzüglich eine Politik zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu verfolgen"(2). Besonders hervorgehoben wird hierbei die wiederholte Formulierung "Mann und Frau", ohne genauer darauf einzugehen, was Mann und Frau überhaupt sind bzw. wie sich Geschlecht überhaupt definieren lässt. Die Übernahme der sowohl unwissenschaftlichen, als auch antiquierten Vorstellung, die Trennung der Geschlechter würde sich anhand körperlicher Faktoren wie dem Vorhandensein oder dem Fehlen z.B. eines Penis messen lassen, führen in der Praxis zu ebenso menschenrechtlich problematischen Situationen, in denen sich transsexuelle Frauen wiederfinden müssen, wie die Annahme Geschlecht sei lediglich eine soziale Konstruktion, ja quasi anerzogen oder erlernt. Bis dato wird betroffenen Frauen - auf Basis überholter Gendertheorien - die rechtliche Anerkennung verwehrt, obwohl es bereits genügend Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie tatsächlich existieren und ihre Aussage "ich bin im falschen Körper geboren" wahr ist.
Transsexuelle Frauen sind Frauen, deren Körper sich stellenweise gegengeschlechtlich entwickelt hat, sie sind mit Penis und Hoden geboren worden.
"wenn sie meinen gibt es Frauen die mit einem Penis geboren wurden, weil sie im Gehirn anders eingerichtet sind, weil sie nicht-männlich eingerichtet sind... dann sieht es so aus, dass es zumindest einiger solcher Individuen gibt"
Heino F. L. Meyer-Bahlburg, Dr. rer. nat. Professor of Clinical Psychology, 2007
Diese Erkenntnis, dass die geschlechtlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau eher im Gehirn zu suchen sind - und mit der Differenzierung der Geschlechter in der 7. Schwangerschaftswoche zu tun haben müssen - wird von einigen Untersuchungen gestützt, wie z.B. der, die bereits Mitte der 90er von Dick Swaab, Neurobiologe am Institut für Hirnforschung in Amsterdam, veröffentlicht wurde (3). Er entdeckte, dass die Größe des so genannten BST-Kerns im Hirn von transsexuellen Frauen tatsächlich dem Geschlecht ihrer weiblichen Identität entsprach, und nicht dem ihres "männlichen" Körpers. Wirklich neu war der Gedanke, dass das Gehirn geschlechtsbestimmender anzusehen ist, als die Genitalien allerdings selbst zu diesem Zeitpunkt nicht. Harry Benjamin, deutsch-amerikanischer Psychologe und Pionier auf dem Forschungsgebiet der Transsexualität, schrieb bereits 1966 in seinem Buch "The Transsexual Phenomenon"
"Der dominierende Status der Genitalien für die Geschlechtsbestimmung ist mindestens in der Welt der Wissenschaft in Frage gestellt worden." und "Die Naturgesetze kennen jedoch kein Tabu, und Tatsachen bleiben Tatsachen. Intersexualität besteht im Körper als auch im Geiste."(4)
Im Jahr 1978, ein Jahr vor CEDAW, wurde dieser Gedanke von einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das sich auf einen Fall einer transsexuellen Frau bezieht, die zuvor ihre personenstandsrechtliche Anerkennung einklagte, aufgegriffen und in seiner Begründung erwähnt.
"Es müsse aber heute als gesicherte medizinische Erkenntnis angesehen werden, daß die Geschlechtlichkeit eines Menschen nicht allein durch die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane und -merkmale bestimmt werde, sondern auch durch die Psyche."(5)
Das Bundesverfassungsgericht führte in diesem Urteil weiter aus
"Die Rechtsordnung dürfe diese Gegebenheiten nicht unberücksichtigt lassen, weil sie in gleichem, wenn nicht sogar in stärkerem Maße als die körperlichen Geschlechtsmerkmale die Fähigkeiten des Menschen zur Einordnung in die sozialen Funktionen der Geschlechter bestimmten und weil Gegenstand der auf das Geschlecht abstellenden Rechtsnormen eben diese sozialen Funktionen seien."
und begründete dies damit, dass es nicht mit der im Grundgesetz verankerten Menschenwürde vereinbar wäre, dass ein Mensch gegen seinen Willen dem Geschlecht zugeordnet wird, dem dieser Mensch psychisch nicht angehört.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1978 sollte den Grundstein legen für das sogenannte Transsexuellengesetz, welches zwei Jahre später dann folgte. Und genau hiermit begann das Unheil für die betroffenen Frauen, da in diesem Transsexuellengesetz nun zwei Geschlechtsdefinitionsmodelle nebeneinanderher angewandt werden und zu folgendem Paradoxon führen: Zwar wird im TSG (im folgenden für Transsexuellengesetz) anerkannt, dass die Psyche/Gehirn geschlechtsbestimmender anzusehen ist, als die körperlich sichtbare Beschaffenheit eines Menschen, gleichzeitig wird die personenstandsrechtliche Anerkennung, die insbesondere während des medizinischen Verfahrens für die betroffenen Frauen von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist, an das Ende des Verfahrens gesetzt, basierend darauf, dass der Personenstand abhängig ist von den sichtbaren äusseren Geschlechtsmerkmalen. Im TSG heisst es dazu, der Personenstand könne erst dann geändert werden, wenn eine betroffene Person:
"sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist."(6)
Nur führt dies in der Praxis dazu, dass eine transsexuelle Frau personenstandsrechtlich während des medizinischen Verfahrens bis zum Ende als Mann behandelt wird (sie wird von der deutschen Sexologie als Mann mit "Geschlechtsidentitätsstörung" angesehen), obwohl sie als Frau geboren wurde (wenn auch mit abweichenden körperlichen Merkmalen). Dieser betroffenen Frau wird somit die rechtliche Existenz verwehrt; hat sie bezogen auf das medizinische Verfahren keine Möglichkeit sich als Frau gegen eventuelle Unstimmigkeiten und Probleme zur Wehr zu setzen, gilt sie ja offiziell als Mann und nicht als Frau.
Somit ist das Hauptproblem im TSG, die Annahme eine transsexuelle Frau ist ein "Mann mit einer Geschlechtsidentitätsstörung", ein Logikkonstrukt, dass sich in folgender Formulierung wiederfinden lässt:
"Das Gericht darf einem Antrag nach nur § 1 stattgeben, nachdem es die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt hat, die auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung mit den besonderen Problemen des Transsexualismus ausreichend vertraut sind. Die Sachverständigen müssen unabhängig voneinander tätig werden; in ihren Gutachten haben sie auch dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird."(7)
Weiss man, dass das medizinische Verfahren nun nicht in wenigen Tagen von statten geht, sondern unter Umständen mehrere Jahre dauert, wird einem die Brisanz der rechtlichen Nichtanerkennung klar: In allen Zusammenhängen, in denen die geschlechtliche Differenzierung wichtig ist, wird eine betroffene Frau vor massiven Problemen stehen, hat sie ja nun keine Papiere, die ihre Existenz belegen könnten.
Was aus diesem rechtlichen Paradoxon entsteht (und leider immer noch Alltag in Deutschland ist), dazu folgen nun ein paar Beispiele.
2. Beispiele der Menschenrechtsverletzungen
a) Erstes Beispiel "Sexueller Missbrauch"
Eine betroffene transsexuelle Frau lässt sich auf das Verfahren ein, wie es nach TSG verlangt wird und willigt auf das Gutachterverfahren ein, indem sie sich zu einem "Mann mit psychischer Störung" erklären lassen muss. Sie wird nun zwei Gutachter aufsuchen müssen, die dann anschliessend - nach der Begutachtung - eine gerichtliche Stellungnahme abgeben. Während eines Gutachtertermins kommt es zum sexuellen Missbrauch durch den psychologischen Gutachter.
Da nun der Gutachter über den Verlauf des weiteren Verfahrens entscheiden kann, bleibt der jeweiligen betroffenen Frau die Möglichkeit entweder den sexuellen Missbrauch über sich ergehen zu lassen, oder gegen den Gutachter mittels Anzeige vorzugehen. Zeigt die betroffene Frau den Gutachter an, wird sie aber kein rechtliches Verfahren führen können, in dem es darum geht, dass eine Frau sexuell missbraucht wurde, sondern ein offiziell "psychisch kranker Mann" hier eine Behauptung aufstellt, "er" wäre missbraucht worden. Wer wird dieser Frau glauben? Wenn man bedenkt, dass die psychologischen Gutachter in enger Verbindung mit den Gerichten stehen (sind sie doch auch in anderen Gerichtsfällen als Gutachter zuständig), weiss man, dass das öffentliche Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch während der Gutachten in fast allen Fällen von den Betroffenen nicht angemahnt wird. Fälle, die in Deutschland kein seltener Fall sind, trotzdem aber im Dunkel der Parallelwelt des TSG verschwinden und nie an die Öffentlichkeit dringen.
Dabei heisst es im "Sechsten Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)":
"Der Diskriminierungsschutz wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das sich auf die Merkmale Geschlecht, Rasse und ethnische Herkunft, Religion und Weltanschauung, Alter und sexuelle Identität bezieht, entscheidend verbessert. Diskriminierten stehen bei ungerechtfertigten Benachteiligungen im Arbeits- und Sozialrecht, aber auch im Zivilrecht Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche zu. Sie werden bei der Rechtsverfolgung durch Antidiskriminierungsverbände sowie durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterstützt."(8)
Würde eine transsexuelle Frau personenstandsrechtlich existieren, könnte sie in der Tat diesen Diskriminierungsschutz in Anspruch nehmen, ohne gültige Rechtsexistenz wird dies in der Praxis allerdings genauso schwer, wie bei einer Antidiskriminierungsstelle oder einer Stelle, die dafür da ist Frauen, die sexuell missbraucht wurden, psychologisch als auch rechtlich zu helfen, Gehör zu finden. Es ist keine Erfindung, dass betroffene Frauen auch hier bereits vor verschlossenen Türen standen.
Näme die Bundesregierung CEDAW auch bezogen auf die Probleme transsexueller Frauen ernst, wäre sie gefordert das TSG dahingehend zu überarbeiten, dass transsexuelle Frauen bereits zu Beginn der medizinischen Behandlung personenstandsrechtlich als Frauen anerkannt werden können.
Die Bundesregierung wäre nun aufgefordert,
"alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung aller bestehenden Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung der Frau darstellen"(9)
Das Transsexuellengesetz verstösst hier bis heute gegen diese Aufforderung, wird doch in Kauf genommen, dass die rechtiche Sicherheit transsexueller Frauen hier nicht gegeben ist. Sexuellem Missbrauch durch Psychologen - entweder der direkte Missbrauch, oder indirekt durch das Gezwungenwerden zu demütigender Behandlungsformen, wie entwürdigendes Entkleiden oder verbale sexuelle Penetration durch den Gutachter - wurde bis dato tatenlos zugesehen.
b) Zweites Beispiel "Zwang zur Lüge vor Gericht"
Eine transsexuelle Frau, der das Bundesverfassungsgericht im 1978er Urteil bereits zugestanden hat, dass sie eine Frau ist (oder als solche behandelt werden muss), da die Psyche "wenn nicht sogar in stärkerem Maße als die körperlichen Geschlechtsmerkmale die Fähigkeiten des Menschen zur Einordnung in die sozialen Funktionen der Geschlechter bestimmten"(10), wird trotzdem, durch Einbettung eines psychologischen Gutachterverfahrens, als Mann behandelt und dazu gezwungen, einer Diagnosestellung einzuwilligen, die laut ICD10 F64.0 besagt, sie wäre ein Mensch, der dem Gegengeschlecht angehören will.
Der ICD spricht hier von dem
"Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden."(11)
und wird nach DSM-IV, dem Manual der psychischen Störungen behandelt, in dem es heisst
"Anhaltendes Unbehagen im Geburtsgeschlecht, oder Gefühl der Person, dass die Geschlechtsrolle des eigenen Geschlechts für sie nicht die richtige ist"(12)
Somit wird in der Praxis völlig ignoriert, was in den 60er-Jahren bereits bekannt war, nämlich dass die Psyche/Gehirn als geschlechtsbestimmender anzusehen ist, als die Genitalien eines Menschen. Zusätzlich wird einer transsexuellen Frau das Geburtsgeschlecht aberkannt, das - wenn nun Psyche/Gehirn als geschlechtsbestimmender anzusehen sind, als der Körper (vergleiche Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -) - demzufolge nun eigentlich "weiblich" ist. Sie wird nun per Gesetz dazu gezwungen, sich zu einem gebürtigen Mann zu erklären (oder erklären zu lassen), der eine psychische Störung hat, um rechtlich die Frau zu werden, die sie schon immer war. Ein Gesetz aber, das einen Menschen dazu zwingt eine Falschaussage zu begehen, kann nun nicht im Einklang mit dem
Grundgesetz stehen. Würde es sich um eine Strafsache handeln, wäre die Falschaussage vor Gericht ein Meineid.
"Meineid ist ein Verbrechen, das mit Freiheitsstrafe von einem bis fünfzehn Jahren bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren."
(aus: wikipedia)
Ein weiterer Zwang zur Lüge, der im TSG versteckt ist, betrifft die Situation der transsexuellen Frauen, die mit einer Frau verheiratet sind (da sie personenstandrechtlich als Männer betrachtet werden ist dies ja möglich). Begeben diese Frauen sich nun in einen rechtlichen Transitionsprozess, müssen sie sich nach TSG scheiden lassen. Zu den Voraussetzungen zur Personenstandsänderung gehört, dass eine transsexuelle Frau
"nicht verheiratet ist"(13)
Eine Ehe kann aber in Deutschland nur geschieden werden, wenn sie als gescheitert gilt.
"Die Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Das ist der Fall, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft gemäß § 1353 BGB (mensa et toro) nicht mehr besteht und eine Wiederherstellung nicht mehr zu erwarten ist."
(aus: wikipedia)
Nun wird eine transsexuelle Frau auch hier dazu erneut gezwungen vor Gericht zu lügen, diesmal vor dem Scheidungsanwalt.
c) Diskriminierung transsexueller Frauen in der Öffentlichkeit und Medien
Obwohl nun transsexuellen Frauen das Recht zuerkannt wurde, dass Psyche/Gehirn geschlechtsbestimmender sind, als die Genitalien (Bundesverfassungsgericht 1978), werden transsexuelle Frauen in der Öffentlichkeit immer noch als Männer dargestellt, die "Frauen werden" wollen. Weiss man nun, dass die Genitalien nicht in 100 Prozent aller Fälle als geschlechtsbestimmend angesehen werden können, und es Menschen gibt, deren Körper stellenweise vom Geburtsgeschlecht abweicht, dann könnte man sich fragen: Warum wird dies in der öffentlichen Berichterstattung nicht berücksichtigt?
Im sechsten Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) heisst es:
"Der Ausschuss empfiehlt die Verstärkung der politischen Maßnahmen und die Durchführung von Programmen, unter anderem von Bewusstseinsförderungs- und Bildungskampagnen für Frauen und Männer, und insbesondere in Medien- und Werbeagenturen, um zur Beseitigung von Stereotypen in Zusammenhang mit den traditionellen Rollenbildern in der Familie und am Arbeitsplatz sowie in der Gesellschaft insgesamt beizutragen."
Wenn aber nun - entgegen jeglicher wissenschaftlicher Logik - völlig unberücksichtigt bleibt, dass nicht die Genitalien eines Menschen geschlechtsbestimmend sind, sondern das Gehirn eines Menschen (und sogar einzelne Sexualwissenschaftler in Deutschland den selben Fehler begehen), brauchen wir uns über eine verzerrte Darstellung transsexueller Frauen in der Öffentlichkeit nicht wundern.
So schreibt beispielsweise Prof. Dr. Günter K. Stalla (Abt. Innere Medizin/Endokrinologie, Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München) in einer Pressemitteilung von Männen, die sich wünschen eine "Frau zu werden":
"Der Wunsch, das Geschlecht zu wechseln ist meist sehr stark ausgeprägt"(14)
Würde er nun berücksichtigen, was das Bundesverfassungsgericht bereits 1978 wusste, dann kann dieser Satz nur als Falschaussage betitelt werden, geht es bei Transsexualität nämlich nicht um den Wunsch, das Geschlecht zu wechseln, sondern um eine Anerkennung des eigentlichen Geburtsgeschlechts - eine transsexuelle Frau ist als Frau geboren worden, wenn auch mit gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen wie z.B. Penis und Hoden.
Den selben Fehler begeht hier Sophinette Becker, Dipl. Psych., (Psychoanalytikerin an der Abteilung für Sexualwissenschaft der Universität Frankfurt), welche in der deutschen Version der sogenannten Standards Of Care schreibt:
"Transsexualität ist durch die dauerhafte innere Gewißheit, sich dem anderen Geschlecht zugehörig zu fühlen, gekennzeichnet." und "Der mindestens dreijährige "Zwang" bedeutet die Unmöglichkeit, sich mit dem Geburtsgeschlecht zu versöhnen"(15)
Auch hier wird massiv dagegen verstossen, dass eigentlich nicht der Körper prinzipiell als geschlechtsbestimmend angenommen werden kann, sondern die Psyche/Gehirn im Zweifelsfall als geschlechtsbestimmender zu gelten hat. Wer weiss, dass diese "Standards Of Care" eigentlich genau dieser Erkenntnis Rechnung tragen wollten, muss sich fragen, welche Paradoxie hier offen zur Schau gestellt wird - eine unter der transsexuelle Frauen bis heute zu leiden haben.
In Artikel 2d, CEDAW heisst es, die unterzeichnenden Staaten werden dazu aufgefordert,
"Handlungen oder Praktiken zu unterlassen, welche die Frau diskriminieren, und dafür zu sorgen, daß alle staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen im Einklang mit dieser Verpflichtung handeln"
Eine Weiterverbreitung von Unwahrheiten über transsexuelle Frauen durch öffentliche Institute (vorwiegend aus dem Bereich der Psychoanalyse), steht dieser Aufforderung allerdings widersprüchlich gegenüber. Auch hier wäre es schön, würde die Bundesregierung berücksichtigen, was seit Jahrzehnten bekannt ist: Es gibt Menschen, deren körperlichen Merkmale stellenweise vom Geburtsgeschlecht abweichen. Diese Menschen brauchen Schutz vor Missbrauch und Willkür. Eine Voraussetzung für diesen Schutz ist, erst einmal zu registrieren, dass es diese Menschen überhaupt gibt.
d) Weitere Beispiele
Weitere Beispiele der Menschenrechtsverletzungen gegenüber transsexuellen Frauen gibt es zu Hauf, leitet sich doch aus der rechtlichen Nichtanerkennung von aber in real existierender Menschen, allerlei Diskriminierung und Benachteiligung ab. Als weitere Beispiele wären zu nennen:
- Benachteiligung im Beruf und fehlende Möglichkeit ein AGG in Anspruch zu nehmen, welches auf dem richtigen Geschlecht beruht
- - Verzögerung medizinisch notwendiger Leistungen (z.B. Wiederherstellungschirurgie)
- - Auslösen oder Verstärken sekundärer psychischer Probleme durch Fehlbehandlung durch die Psychoanalyse
- - Herbeiführen medizinischer endokriniologischer und chirurgischer Fehlbehandlungen durch eine willkürliche Geschlechtsbestimmungsdiagnostik (nach F64.0)
Besonders hervorzuheben wäre hier noch die mangelnde medizinische Sicherheit, durch die Anwendung einer Gender-Theorie, die auf der Psychoanalyse basiert, nämlich der Annahme, Geschlecht liesse sich anerziehen (die Theorie von Geschlecht als soziales Konstrukt). Da nun diese Theorie wieder den Körper als geschlechtsbestimmende Basis nimmt - nichts weiter passiert nämlich, schaut man sich die Theorie genauer an - folgt nun daraus die Nichtanerkennung von Frauen, die mit gegengeschlechtlichen Organen geboren wurden, was sich unter anderem sowohl im DSM oder ICD als auch im TSG wiederspiegelt.
Die rechtliche Nichtanerkennung führt in der Praxis nun dazu, dass die Krankenkassen nicht in der Lage sind, eine transsexuelle Frau als Frau "geschlechtlich" zu behandeln, sondern diese Frau nun als Mann angesehen wird, der sich "gegengeschlechtlich" behandeln lassen will. Ein Krankenkassenmitarbeiter wird nach bestehendem TSG also nun bei der Bewilligung von Leistungen nicht auf einen Katalog wichtiger Kassenleistungen für Frauen zurückgreifen können, sondern sieht sich dazu gezwungen, die Entscheidung über beispielsweise Epilationsbehandlungen (oder andere körperliche Massnahmen) ausgehend davon, dass es sich um einen Mann mit einer "Geschlechtsidentitätsstörung" handelt (ICD10/DSM), zu treffen. Die Frage wozu ein Mann aber diese Massnahmen bräuchte, stellt sich hier schnell, da der Krankenkassenmitarbeiter ja davon ausgehen muss, einen Mann zu behandeln, findet er in seinem Computer ja den Vermerk "männlich" oder den Zusatz "Herr" vor. Würde der Gesetzgeber nun berücksichtigen, dass es Menschen gibt, die mit gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen geboren werden, und gäbe er diesen Menschen ein Existenzrecht, dann würde sich dieser Umstand in der Praxis ins Positive ändern. Eine Frau, die auf Grund der gonadalen Fehlentwicklung einen Bartwuchs zu beklagen hat, wird - ist sie als Frau registriert - auch als Frau behandelt, die ein körperliches Problem hat.
In CEDAW heisst es, die Vertragsstaaten setzen sich für folgendes ein:
"das Recht auf soziale Sicherheit, insbesondere auf Leistungen bei Eintritt in den Ruhestand, bei Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität und im Alter"(16)
Von sozialer Sicherheit für Frauen, die mit gegengeschlechtlichen Organen geboren werden, kann bis dato keine Rede sein, gehört die Verweigerung wiederherstellender Massnahmen immer noch zum Standard in Deutschland.
So heisst es beispielsweise noch im Jahr 2001 in einer Schrift der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung:
"Praktisch bedeutet das, dass auch aus der weitgehend sicheren Diagnose Transsexualität nicht ohne weiteres somatische Maßnahmen sowie deren Umfang und Zeitpunkt abzuleiten sind." (17)
Wer davon ausgeht Männer vor somatischen Massnahmen schützen zu müssen (ausgehend davon, die Genitalien seien geschlechtsbestimmend) wird mit Sicherheit anders handeln als ein Mensch, der weiss, dass transsexuelle Frauen als Frauen geboren worden sind - wenn auch mit gegengeschlechtlichen Körpermerkmalen.
Um daher die rechtliche Anerkennung transsexueller Frauen zu gewährleisten ist also nun als allererstes einmal zu berücksichtigen, dass es diese Frauen überhaupt gibt - und zwar vor jeder medizinischen Massnahme. Dies fängt mit der personenstandsrechtlichen Anerkennung an.
3. Über 100 Jahre Ignoranz
In Deutschland soll nach Angaben der Mediziner offiziell ungefähr 3500 transsexuelle Frauen geben (die bei ihrer Geburt auf Grund ihrer Anatomie rechtlich als männlich eingestuft wurden)(18), die Dunkelziffer wird aber weitaus höher liegen, berücksichtigt man, dass viele betroffene Frauen in den Statistiken nicht auftauchen, weil sie entweder noch keinen Ansprechpartner aus dem Bereich der Medizin aufgesucht haben, oder dieser ihnen nach Kontaktaufnahme nicht helfen konnte oder wollte. Es wäre zwar wünschenswert, wenn das Thema "Transsexualität" nicht jedesmal, wenn eine transsexuelle Frau einen Arzt aufsucht, aufs Neue zu einem "Damit kenn ich mich nicht aus" der im Gesundheitssystem beteiligten Menschen führen würde, doch sind Ablehnung und Vorurteile gegenüber transsexuellen Menschen hier oft stärker ausgeprägt, als beim Menschen "auf der Strasse". Ein Grund hierfür könnte sein, dass seit Ende der 60er-Jahre gesellschaftspolitisch gefärbte Theorien über das "soziale Konstrukt Geschlecht" verstärkt auch in wissenschaftliche Literatur übernommen wurde, ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Annahme der Konstruktion hier zwar auf zugewiesene Geschlechtsrollenstereotype zutreffen kann, die eigentliche Kerngeschlechtlichkeit eines Menschen hiervon unberührt - und alles andere als von Aussen konstruiert - ist, ja sogar unberührt sein muss, will man transsexuellen Menschen nicht ihr Existenzrecht nehmen und ihre Besonderheit zur blossen Folge äusserer Umstände erklären, was eben von einigen Medizinern heute noch so erklärt wird.
In diesem Zusammenhang lohnt sich einmal der Vergleich zweier Aussagen, um zu verstehen inwieweit die Gendertheorien, die Ende der 60er modern wurden, tatsächlich eine Änderung der Verhältnisse herbeigeführt haben:
Aussage 1:
"Eine letzte Stufe im Krankheitsprozess stellt der Wahn der Geschlechtsverwandlung dar"
Aussage 2:
"Der Transsexualismus ist ein solches Neogeschlecht. Es war früher nicht vorstellbar, daß Menschen operativ ihr Geschlecht ändern."
Auch wenn man es kaum glauben mag, so liegen zwischen diesen Aussagen genau 120 Jahre. Die erste stammt von Psychiater Richard von Krafft-Ebing (1886 in "Psychopathia sexualis"), die zweite von einem der Sexualwissenschaftler, die für die Formulierung und Logik des Transsexuellengesetzes mitverantwortlich waren. Er äusserte diesen Satz Anfang 2006 in einem Welt-Interview: Volkmar Sigusch.
So werden auch heute noch transsexuelle Frauen behandelt wie vor über 100 Jahren. Der Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld beispielsweise behandelte in seinem Institut(19) in Berlin transsexuelle Frauen ähnlich wie heute.
"Hirschfeld stellt fest, dass die Kleidung für das körperliche und seelische Wohlbefinden von Transvestiten von lebenswichtiger Bedeutung ist. Deshalb wirft er die Frage auf, "ob der Arzt nicht nur berechtigt , sondern sogar verpflichtet ist, die Umkleidung zu gestatten, ja anzuordnen".
"Während andere Mediziner und Psychologen versuchen, Transvestitismus bei ihren Patienten therapeutisch zu beseitigen, ist Hirschfeld bestrebt, dem Wunsch der Transvestiten nachzukommen (Adaptionstherapie). Er versucht, durch die Injektion von Organpräparaten (Hoden- oder Eierstockextrakten) die Körper von Transvestiten in die gewünschte Geschlechtsrichtung zu verändern.(Rudolph R./Dorchen)
Ende der 20er Jahre berichtet sein Institutskollege Felix Abraham über die ersten operativen Genitalumwandlungen, die unter der Mitwirkung von Ludwig Levy-Lenz durchgeführt werden.
In der Regel gibt es eine Schrittfolge auf dem Weg zum anderen Geschlecht: Namensänderung, Transvestitenschein, Operation."(20)
Geändert hat sich somit trotz (oder gerade wegen) der Gendertheorien, die Ender der 60er Jahre modern wurden, in der Tat nicht viel, haben transsexuelle Frauen bis dato in Deutschland keine Existenzanerkennung, als das, was sie sind - Frauen, die mit gegengeschelchtlichen Körpermerkmalen geboren wurden. So wird immer noch von Männern (ausgehend vom Körpergeschlecht), die "Frauen werden" wollen (gender) gesprochen, anstatt anzuerkennen, dass es sich bereits um gebürtige Frauen handelt, weil ihre Kerngeschlechtlichkeit - unabhängig irgendwelcher Geschlechtsrollenstereotype - von Geburt an festgelegt ist. Anzuerkennen wäre also, dass äussere Geschlechtszuschreibungen niemals mit dem Prädikat der Unfehlbarkeit versehen werden können, sondern im Zweifelsfall jeder betroffene Mensch die Möglichkeit haben muss, sich gegen Zwangszuweisungen zu wehren, insbesondere dann, wenn die Aussengeschlechtsbestimmung - in welcher sich patriarchale Machtstrukturen und Gewaltmissbrauch wiederspiegeln - zu körperlichem (im Fall der Genitalverstümmelungen bei Intersexualität) oder psychischem Leid führen.
Dass hier u.a. das Transsexuellengesetz in seiner jetzigen Form den Gewaltmissbrauch - körperlich wie psychisch - gerade zu herausfordert, scheint bei der Bundesregierung bislang noch nicht so recht angekommen zu sein. So schreibt das Bundeskanzleramt im Herbst 2007:
"Sehr geehrte Frau Schicklang, das Transsexuellengesetz von 1981 regelt rechtliche Fragen, die sich aus dem von Ihnen angesprochenen Problem ergeben."(21)
Dies als Antwort auf die Bitte, sich einmal mit der Problematik des Transsexuellengesetzes auseinanderzusetzen wirkt ein wenig, als wäre hier das Motto gewesen "Keine Antwort ist auch eine Antwort". Wenn man bedenkt, dass hier ein existierendes Gesetz massives Leid bei betroffenen Frauen verursacht und jeder Tag des Abwartens, einer zu viel ist, mutet diese Antwort doch ein wenig zynisch an.
Im sechsten Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) heisst es zudem:
"Die Maßnahmen der Bundesregierung zielen darauf ab, die betroffenen Frauen effektiv zu schützen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Mit dem ersten Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat die Bundesregierung ein Gesamtkonzept vorgelegt, das alle staatlichen und nichtstaatlichen Akteure umfasste. Dieser Aktionsplan wird 2007 fortgeschrieben. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluierung des Gewaltschutzgesetzes werden einbezogen."(22)
Täter sind hier diejenigen, die weiter mit ihrem Gewissen vereinbaren können, Menschen Behandlungen auszusetzen, in denen sie weder eine rechtliche Existenz besitzen (weil man ihnen ihren Personenstand nicht unmittelbar zugestehen will), noch davor geschützt sind körperlich wie psychisch durch Menschen missbraucht zu werden, die dem deutschen Medizinsystem angehören. Jeder weitere Tag der Ignoranz tötet Menschenleben.
4. Stimmen
Das wichtigste, wenn man über transsexuelle Menschen spricht, sind wohl die Betroffenen selbst. Leider werden diese allzuoft überhört, so dass es nun einmal ein paar von ihnen - neben anderen, die eine Reform des Transsexuellenrechts als ebenso notwendig ansehen - zu Wort kommen sollen.
"Ich habe den falschen, nicht zum Gehirn passenden Körper erhalten. Dafür kann ich nichts. Der Körper ist eine Abnormalität, wie ein dritter Arm. Ich habe deshalb das volle Recht auf medizinische Maßnahmen zur Angleichung an mein tatsächliches Geschlecht."
(Betroffene Frau)
"Wenn ein (transsexuelles) Kind geboren wird, besitzt es das Gehirn des einen Geschlechts, aber die Genitalien des anderen und deswegen wurde sein Geschlecht zur Geburt falsch bestimmt."
(Lynne Jones, Mitglied des englischen Parliaments)
"Ich empfinde das TSG als reformbedürftig, da man im Zeitraum vor dem Inkrafttreten der Vornamens und Personenstandsänderung in einer problematischen Situation festsitzt. Dies führt zu großen sozialen Problemen im Alltag, die einen transsexuellen Menschen zusätzlich belasten."
"Es macht meiner Meinung nach keinen Sinn die Hürde für eine Vornamens- und Personenstandsänderung so hoch zu setzen, wie es momentan der Fall ist. Denn es sind Dinge, die sich ohne einen Schaden anzurichten wieder rückgängig gemacht werden könnten, wenn sich das ganze als Fehler hinterher herausstellt."
"Ich bin eine Frau (auch ohne amtliche Anerkennung) und ein Mensch und möchte auch mit dem entsprechenden Respekt behandelt werden"
"Die Gesetzeslage für Transsexualität entspricht nicht dem Menschenrecht und die Beschreibungen/Erklärungen passen oft nicht mit der Realität überein. Es wird uns Betroffenen oft viel zu schwer gemacht und die allgemeine Aktzeptanz ist noch viel zu gering."
(Betroffene Frau)
"Die Naturgesetze kennen jedoch kein Tabu, und Tatsachen bleiben Tatsachen. Intersexualität besteht im Körper als auch im Geiste."
(Harry Benjamin, 1966 aus: The Transsexual Phenomenon)
"Mir ist eines klar: Transsexuelle fühlen sich nicht als Mann/Frau, sondern sie sind Mann oder Frau. ...und der Körper hat das konträre Geschlecht."
(Aus einer Diplomarbeit zum Thema 2006)
"Ich bin eine Frau und war das schon immer. Keine Operation der Welt macht mich zur Frau. Ich bin eine. Aber ich bin eine entstellte Frau. Und unter diesen Entstellungen leide ich. So wie auch jede andere Frau unter diesen Entstellungen leiden würde."
(Betroffene aus Hamburg)
"Eine Frau möchte reden, artikulieren, gestikulieren, argumentieren und ihren Gefühlen Ausdruck geben können, ohne sich zu verbiegen. Eine Frau möchte aussehen wie eine Frau aussieht. Eine Frau möchte Sex haben, wie eine Frau Sex hat."
(Betroffene aus Frankfurt)
"Ich stimme ihnen zu: Das Gehirn bestimmt das Geschlecht. Dies ist auch die Grundlage für die Operation (den Körper an die Identität des Gehirns anzupassen)"
(Professor Dr. Dick F. Swaab, Amsterdam, in einer Emailantwort an mut23.org)
"Das Gutachterverfahren in seiner jetzigen Form ist demütigend und nicht mit Menschenrechten vereinbar, auch nicht mit Artikel 1 des Grundgesetzes... Es wird von den Gutachtern missbraucht um uns zu demütigen. Es gehört gestrichen."
"Ich bin sicher, dass sich die gesellschaftliche und rechtliche Lage durch den Kampf, den Sie führen, verändern wird; das Recht kommt immer nach der gesellschaftlichen Durchsetzung von Rechtsansprüchen; so war bzw. ist es beim Kampf um Frauenrechte, so beim Kampf um die Rechte von Lesben und Schwulen. Mein Fazit: Besser als mit den Grund- und Menschenrechten können Sie diesen Kampf um Ihre Rechte gar nicht begründen und führen."
(Prof. Dr. Hans Jörg Sandkühler - Leiter der deutschen Abteilung "Wissenskulturen, Transkulturalität, Menschenrechte" des UNESCO-Lehrstuhls für Philosophie in einer Emailantwort an mut23.org)
"I am a girl"
(4-jähriges transsexuelles Mädchen, das wegen ihres Penis dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurde in einer Dokumentation des Senders ABC im April 2007)
Es wird Zeit, dass rechtlich anerkannt wird, dass es Mädchen gibt, die mit Penis und Hoden geboren werden. Sie suchen deswegen Hilfe auf, weil sie unter dieser körperlichen Abweichung leiden. Dies anzuerkennen, ist der erste Schritt in Richtung einer medizinischen und rechtlichen Behandlung, die mit den Menschenrechten im Einklang steht.
5. Personenstandsrechtliche Anerkennung (Existenzanerkennung)
Betrachtet man sich nun das Kernproblem - die bisherige fehlende rechtliche Anerkennung biologischer Tatsachen - stellt sich schnell die Frage, worin überhaupt die Schwierigkeit bestehen soll, diesen Realitäten mittels gesetzlicher Regelungen Rechnung zu tragen. Wenn es Menschen gibt, die mit gegengeschlechtlichen Organen geboren werden, dann wäre eine Reform des Transsexuellenrechts nicht nur dringend geboren, sondern es wäre auch unproblematisch einfache und sinnvolle Regelungen zu finden.
Ein Vorschlag von Menschenrecht und Transsexualität, der im übrigen der Bundesregierung seit Anfang 2006 vorliegt, beschäftigt sich mit der Frage, ob es nicht weitaus sinnvoller wäre, die rechtliche von der medizinischen Behandlung zu trennen. Im Kurzform heisst dies:
a) die Einführung eines Transsexuellengesetzes, welches das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1978 vollständig umsetzt(23). In diesem Urteil hiess es:
"Es müsse aber heute als gesicherte medizinische Erkenntnis angesehen werden, daß die Geschlechtlichkeit eines Menschen nicht allein durch die Beschaffenheit der Geschlechtsorgane und -merkmale bestimmt werde, sondern auch durch die Psyche. Die Rechtsordnung dürfe diese Gegebenheiten nicht unberücksichtigt lassen, weil sie in gleichem, wenn nicht sogar in stärkerem Maße als die körperlichen Geschlechtsmerkmale die Fähigkeiten des Menschen zur Einordnung in die sozialen Funktionen der Geschlechter bestimmten und weil Gegenstand der auf das Geschlecht abstellenden Rechtsnormen eben diese sozialen Funktionen seien."
Nimmt man diesen Satz ernst, dann kann zum einen das medizinische Verfahren (vom Beginn der Behandlung bis zur möglichen geschlechtsangleichenden Operation) nicht von dem Bereich und Zeitraum ausgenommen sein, den das Bundesverfassungsgericht gemeint hat, als es von einer "Einordnung in die sozialen Funktionen der Geschlechter" gesprochen hat. Insbesondere gerade während der medizinischen Behandlung wird nämlich diese Einordnung eine Rolle spielen (danach ist sie oftmals viel weniger wichtig, da die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen im Alltag - wenn auch nicht in allen Bereichen - ja durch die Gleischstellungspolitik der letzten Jahrzehnte hier bereits einer gerechteren Form des Zusammenlebens der Geschlechter Platz gemacht hat), so dass es darum gehen muss, diesen rechtsfreien Raum durch eine echte personenstandrechtliche Anerkennung auf den Boden des Grundgesetzes zurückzuholen.
Im Ergebnis hiesse das, ein Transsexuellengesetz zu schaffen, welches transsexuellen Menschen ermöglicht, schon zu Beginn ihrer medizinischen Behandlung personenstandsrechtlich anerkannt zu werden.
b) die Reform der medizinischen Diagnose. Bislang spricht die Psychoanalyse bei transsexuellen Frauen von Männern, die Frauen werden wollen, anstatt anzuerkennen, dass es Frauen gibt, die mit gegengeschlechtlichen Organen geboren werden. Sicher besteht eine Schwierigkeit darin, von Aussen zu messen, welcher Mensch nun tatsächlich eine transsexuelle Frau ist und welcher Mensch nicht. Nach einer Reform des Transsexuellenrechts ist dies aber nicht mehr von echter Bedeutung, da ja nun auf eine zwanghafte Aussengeschlechtszuweisung verzichtet würde, und ein Mensch analog zu seinem Personenstand eine medizinische Behandlung erhielte.
Nach einer Reform des Transsexuellenrechts, dahingehend auf das bisherige Gutachterverfahren für die personenstandrechtliche Anerkennung zu verzichten, kann sich nun die Medizin darauf konzentrieren, sich um die medizinischen Belange zu kümmern, anstatt eine Aussengeschlechtsbestimmung und geschlechtliche Zwangszuweisung vorzunehmen, zu der sie - das sollte ja nun die Erkenntnis des Erkennens über das tatsächliche Vorhandensein transsexueller und intersexueller Menschen sein - ja nun sowieso nicht, oder zumindest nicht in 100 Prozent aller Fälle, in der Lage ist. Demenstprechend ginge es bei der Diagnostik für medizinische Massnahmen nun nicht mehr um eine Geschlechtsbestimmung, sondern um eine Klärung der Notwendigkeit einzelner Operationen, somatischer Behandlungen, usw.
Wichtig zu bemerken, wäre nun noch, dass das Gutachterverfahren bei Einführung des Transsexuellengesetzes sicherstellen sollte, dass nur Menschen, die tatsächlich transsexuell sind, nach einem zu begutachtenden körperlichen "Umwandlungs-verfahren" eine Personenstandsänderung erhalten können. Somit sollte das Gutachterverfahren indirekt vor irreversiblen den Körper verändernden Folgen schützen. Durch die aktuelle Argumentation der sexualwissenschaftlichen Institute und des Bundesverfassungsgerichtes wäre diese Schutzmassnahme nun hinfällig, sind sie sich doch einig darüber, die personenstandsrechtliche Anerkennung von den körperlichen Massnahmen zu trennen. So veröffentlichte beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung eine Stellungnahme zur Anfrage des Bundesministeriums des Innern (V 5a-133 115-1/1) vom 11. Dezember 2000 zur Revision des Transsexuellengesetzes. In dieser heisst es:
"Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten sind die operativen Eingriffe an den äußeren Geschlechtsmerkmalen als Vorraussetzung für die Personenstandsänderung problematisch geworden bzw. aus wissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar."(24)
Diese Aussage hat das Bundesverfassungsgericht folgendermassen wiedergegeben:
"Für eine unterschiedliche personenstandsrechtliche Behandlung von Transsexuellen mit und ohne Geschlechtsumwandlung sieht die Fachliteratur deshalb keine haltbaren Gründe mehr" und "Dieser Verfassungsverstoß führt nicht zur Nichtigkeit einzelner Bestimmungen des Transsexuellengesetzes."(25)
Durch einen zu erwartenden Wegfall des OP-Zwangs für eine personenstandsrechtliche Anerkennung transsexueller Frauen, erübrigt sich somit eigentlich auch das Gutachterverfahren, da hier ja nun der Grund für die Einführung des Gutachter-verfahrens im Jahr 1980 selbst wegfallen wird. Bei Betrachtung des Voranschreitens der Gleichstellung von Mann und Frau liesse sich zudem ein Gutachterverfahren, welches von aussen über die zu lebende Geschlechtsrolle eines Menschen entscheiden würde - und ohne objektive Kriterien, welches geschlechtliches Verhalten denn aus Sicht des Gutachters männlich oder weiblich ist - nicht mit den Menschenrechten vereinbaren (Bei Wegfall des OP-Zwangs bezöge sich das Verfahren ja lediglich noch auf die geschlechtliche Rolle).
Die Mediziner haben zu respektieren, dass es nicht immer möglich ist, das Geschlecht eines Menschen von Aussen zu bestimmen.
Konkret hiesse das dann: Die Streichung des bisherigen OP-Zwangs sowie des Gutachterzwangs aus dem Transsexuellengesetz (die Schaffung der Möglichkeit den Personenstand auf Antrag z.B. beim Standesamt ändern lassen zu können) und die Einführung einer Diagnostik, die in der Lage ist, individuell auf die Bedürfnisse der betroffenen Patientinnen einzugehen.
Abschliessend noch ein paar Fragen:
Was kann so schwer sein daran, diese rechtliche Möglichkeit zu schaffen? Wo liegt das Problem? Kann ein Staat es sich erlauben Menschen, die existieren als nicht-existent zu betrachten? Ist es ethisch-moralisch mit den Menschenrechten vereinbar, dass auf Grund dieser Nichtanerkennung Menschen psychisches und körperliches Leid angetan wird? Ist es in einer modernen Gesellschaft vertretbar, dass Menschen der Zugang zum Rechtssystem verwehrt wird?
Menschenrecht ist dann Menschenrecht, wenn alle Menschen damit gemeint sind.
Für eine Anerkennung transsexueller Menschen.
Kim Anja Schicklang - Ulm, 21. Dezember 2007
Quellen:
1 aus: Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979
2 Artikel 2, CEDAW 1979
3 Zhou JN, Hofman MA, Gooren LJ. Swaab DF. 1995 A sex difference in the human brain and its relation to transsexuality.
4 Harry Benjamin, 1966 (The Transsexual Phenomenon)
5 Bundesverfassungsgericht Urteil (1 BvR 16/72)
6 TSG, Zweiter Abschnitt. Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit §8, Abs.4
7 TSG, §4, Abs.3
8 Sechster Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)
9 Artikel 2f, CEDAW
10 Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -
11 ICD10, WHO, F.64.0 Transsexualismus
12 DSM-IV 302.85 (ICD der WHO Kapitel V - F64.0 Transsexualität), Geschlechtsidentitätsstörungen bei Jugendlichen oder Erwachsenen
13 TSG §8,(1)1
14 aus einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 05.10.07
15 Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, der Akademie für Sexualmedizin und der Gesellschaft für Sexualwissenschaft
16 CEDAW, Artikel 11e
17 Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung, Zeitschrift für Sexualforschung, Sept. 2001
18 Laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Stand 10/2007
19 Institut für Sexualwissenschaft (1919-1933), Berlin
20 Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Berlin
21 Eine Antwort auf eine Anfrage an direkzurkanzlerin.de im Juli 2007
22 Sechster Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), Abschnitt "Frauen vor Gewalt schützen"
23 Bundesverfassungsgericht am 11. Oktober 1978 - 1 BvR 16/72 -
24 Stellungnahme zur Anfrage des Bundesministeriums des Innern (V 5a-133 115-1/1) vom 11. Dezember 2000 zur Revision des Transsexuellengesetzes (Sophinette Becker, Wolfgang Berner, Martin Dannecker und Hertha Richter-Appelt)
25 BVerfG, 1 BvL 3/03 vom 6.12.2005
Menschenrecht und Transsexualität
Zum 6. Bericht der Bundesrepublik Deutschland zu CEDAW
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